Der Erl-König

Am Donnerstag beginnen die Tiroler Festspiele in Erl. Eine Stunde von München entfernt dirigiert und inszeniert Gustav Kuhn heuer Richard Wagners Oper „Meistersinger von Nürnberg“
von  Abendzeitung

Am Donnerstag beginnen die Tiroler Festspiele in Erl. Eine Stunde von München entfernt dirigiert und inszeniert Gustav Kuhn heuer Richard Wagners Oper „Meistersinger von Nürnberg“

Erst einmal verlangt er nach einer Taschenpartitur von Schuberts Messe in Es-Dur. „Da steht gar nichts von einem Ritardando“, schimpft Gustav Kuhn. „Fürchterlich, wie alle das Tempo verschleppen.“ Er lässt sich in den Sessel sinken und wirkt doch, als wolle er gleich aufspringen, um alle Chöre dieser Welt eines Besseren belehren.

Kuhn ist ein manischer Missionar. „Eigentlich mag ich nicht mehr dirigieren!“, kokettiert er. Sein Terminplan schaut anders aus: Im Juli schwingt er den Stab zweimal bei „Elektra“ von Richard Strauss, drei „Meistersingern“, zwei „Fidelios“, einer Bruckner-Symphonie, Beethovens „Missa solemnis“, der Neunten sowie Schwergewichten von Tschaikowsky, Bartók und Robert Schumann. Nicht zu vergessen: Die Opern inszeniert er alle selbst.

Keine Angst vor Kühen!

Warum dies, wo er doch eigentlich nicht mehr mag? „Ich verkauf mich gut“, stöhnt Kuhn. „Meine Rechnung geht auf: Die Leute kennen mich schon lang aus Salzburg, München oder Wien. Aber dort trete ich nur mehr selten auf. Wer mich hören will, muss nach Erl kommen.“

Das Passionsspielhaus ist sein Bayreuth. Jeder Münchner, der auf der Inntalautobahn gen Süden eilt, kennt den weißen Rundbau auf der Tiroler Seite gegenüber Oberaufdorf, der vor 50 Jahren fertig wurde. Nach drei Passionsjahren waren die Baukosten abbezahlt. „Dann zogen Hunderte von Siebenschläfern ein“, weiß Kuhn, der das Theater 1970 als Einspringer bei Cesar Bresgens „Urständ Jesus Christus“ kennenlernte. Später dirigierte Sergiu Celibidache dort Bruckner zu einem bayrisch-tiroler Jubliäum. „Er sträubte sich lange, bei Kühen aufzutreten, aber als er da war, haute ihn die Akustik auf den Hintern.“ Auch der Pianist Alfred Brendel, der wegen der Kälte einmal auf einer Heizdecke spielte, lobte den Klang.

Geboren wurde die Idee der Festspiele erst nach einem Wagner-Konzert des Orchesters von San Carlo aus Neapel. Von Blaskapellen abgesehen, war Tirol lange eine musikfreie Zone. Das Festival schloss eine Lücke zwischen Wien, Salzburg und Bregenz. Die Lage ist perfekt: München und Innsbruck sind höchstens eine Autostunde nah.

Bayreuths Sachs singt den Pogner

Berühmt wurde Erl durch Kuhns Wagner-Marathon mit dem „Ring“ in fast 24 Stunden. Heuer stehen die „Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm. Wie stets inszeniert vom Maestro selbst. „Ich habe nichts gegen Regisseure“, erklärt er. „Ich mag nur die unmusikalischen nicht“ und lobt die Katalanen von La fura dels baus, mit denen er kürzlich bei „Herzog Blaubarts Burg“ in Paris zusammengearbeitet hat.

Für die „Meistersinger“ hat Kuhn den Sachs der Bayreuther Festspiele abgeworben. In Erl singt Franz Hawlata jedoch nicht den Sachs, sondern Pogner. „In der Rolle fühlt er sich wohler“, meint Kuhn. „Wir verstehen uns als Basis für Schwierige und Begabte, die sich im Opernbetrieb nicht wohl fühlen. Vielleicht singt Hawlata in der dritten Vorstellung doch den Sachs. Bei uns ist sowas immer drin.“

Ein Musiksüchtiger

Für Sänger hatte Kuhn immer eine gute Hand: „Juha Usitalo und Albert Dohmen haben in Erl als Wotan debütiert. Heute singen der eine eine Rolle an der Wiener Staatsoper, der andere in Bayreuth.“ Das Orchester der Tiroler Festspiele rekrutiert Kuhn aus jungen Hochschul-Absolventen: „Wer hier war, will nicht wieder weg. Unsere Fluktuation liegt bei jährlich zehn Prozent. Das ist notwendig, um das Orchester frisch zu halten.“

Die „Meistersinger“ inszeniert der promovierte Philosoph und Psychologe so, wie er sie dirigieren will: als Komödie. Nächstes Jahr kommt der „Fliegende Holländer“, mit dem 1986 Kuhns Regie-Karriere in Triest begann: „Die Inszenierung war so erfolgreich, dass sie an neun Theater verkauft werden konnte“. Nach einem „Tannhäuser“ und der Eröffnung eines Winter-Festspielhauses will Kuhn kürzer treten. Aber weil er lieber selber etwas macht, statt lange zu erklären, wirkt diese Beteuerung des Musiksüchtigen nicht ganz glaubhaft.

Robert Braunmüller

Die Tiroler Festspiele gehen vom 2. bis 26. Juli. Karten unter Tel. 0043 – 512 – 57 88 88 13

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