Der entwaffnende Dirigent

"Mich interessiert die Ungleichzeitigkeit des Zeitgleichen", sagt der Chef von Münchens Musiktheater-Biennale. Peter Ruzicka im AZ-Gespräch über sein Konzert, Bayreuth und den Taktstock.
von  Abendzeitung

"Mich interessiert die Ungleichzeitigkeit des Zeitgleichen", sagt der Chef von Münchens Musiktheater-Biennale. Peter Ruzicka im AZ-Gespräch über sein Konzert, Bayreuth und den Taktstock.

Spitze Gegenstände dürfen nicht an Bord. Bei der Inspektion von Peter Ruzickas Handgepäck am Hamburger Flughafen fiel dem Sicherheitsmann ein vierzig Zentimeter langes und vier Millimeter dickes Holzstäbchen auf. Er wollte nicht glauben, dass es dabei sich um ein stummes Musikinstrument handle, und so endete der Dirigentenstab in einer Mülltonne.

„Ein jahrelang mit Erfolg benutzter Taktstock ist eigentlich unersetzlich“, ärgert sich Ruzicka über den Verlust. Vor den Proben mit dem Münchener Kammerorchester erwarb er in einer Musikalienhandlung für 20 Euro ein neues Arbeitsgerät.

"Unendliche Trauer über das Verlorene"

Bei den „Metamorphosen“ von Richard Strauss gibt der Stab am Freitag sein Konzert-Debüt. „Mich interessiert die Ungleichzeitigkeit des Zeitgleichen“, sagt der Chef von Münchens Musiktheater-Biennale zum ersten Teil seines Programms. „Strauss verfiel am Ende des Zweiten Weltkriegs in eine tiefe Resignation. Er glaubte angesichts der Zerstörung der Opernhäuser an den Untergang seines Werks. Seine im Mai 1945 vollendeten ,Studie für 23 Solo-Streicher’ ist eine unendliche Trauer über das Verlorene.“

Ruzicka hat sich als künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele zwischen 2001 und 2006 für das Strauss-Spätwerk eingesetzt. Als Komponist steht ihm Arnold Schönberg näher, der sich 1942 ganz anders mit dem Krieg auseinandersetzte.

Der Emigrant vertonte 1942 Lord Byrons Schmähgedicht „Ode an Napoleon Buonaparte“ als Protest gegen Hitler und hoffte vergeblich, mit diesem Werk für Sprecher, Klavier und Streicher ein amerikanisches Nationalwerk zu schaffen. Das Konzert endet mit der „Großen Fuge“ Beethovens, einem wütenden und sehr schwer zu spielenden Stück.

Zuvor ist Ruzickas Streichquartett mit Sprecher „Sich verlieren“ zu hören: „Es erzählt siebenmal die gleiche Geschichte, irrt ab und versiegt. Ein Rezitator bringt dazu literarische Assoziationen von Pavese, Bachmann und Celan.“

Der langjährige Hamburger Opernintendant, der im Juli seinen 60. Geburtstag feiert, verzichtete nach dem Mozart- Jahr auf eine Verlängerung des Salzburger Vertrags, weil er mehr komponieren wollte. Als er seine neue Hölderlin- Oper fertig hatte, riefen ihn Katharina Wagner und Christian Thielemann an und baten ihn um seine Hilfe.

Seit November gehört er zum Bewerbungsteam der Komponisten- Urenkelin für die Leitung der Festspiele. Mit ihnen hat Ruzicka ein schriftliches Konzept für die Bayreuther Zukunft erarbeitet. Es soll im April dem Stiftungsrat vorgelegt werden und enthält Vorschläge für eine verbesserte Eigenfinanzierung der von einem Defizit bedrohten Festspiele, die auf Ruzickas Erfahrungen mit Projekt- und Generalsponsoren in Salzburg zurückgehen.

„Die exemplarische Aufführung der Werke Wagners ist Bayreuths Alleinstellungsmerkmal“, sagt Ruzicka. „Das sollte nicht ohne Not aufgegeben werden.“ Er hält eine weitere Premiere pro Saison für machbar, die einem Jugendwerk wie „Rienzi“ gewidmet sein könnte: „Thielemann verweist zwar auf akustische Probleme mit dem versenkten Orchester im Festspielhaus, ist aber im Prinzip dafür.“ Auch die Selbstrepräsentation und mediale Verwertung der Festspiele hält Ruzicka für verbesserungsfähig. „Die Idee, Premieren der New Yorker Met zeitgleich in Kinos auf der ganzen Welt zu übertragen, müsste für Bayreuth längst aktuell sein.“

Robert Braunmüller

"Carte blanche für Peter Ruzicka"
Freitag, 22. Februar 2008
Herkuelssaal, 20 Uhr

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.