Der englische Volksempfänger!
Sind Sie Monarchist? Macht nichts! Der Film gefällt jedem. Und er wird die Mehrheit in Großbritannien für den – angeblich überkommenen – Royalismus um weitere Jahre sichern. Wie es schon vor fünf Jahren Stephen Frears mit „The Queen” getan hat, als uns Helen Mirren als pflichterfüllte Elizabeth zu Tränen rührte. Jetzt geht uns ihr Vater ans Herz, George VI. (1895-1952), gespielt von Colin Firth. Und wieder blicken wir auch in Abgründe hinter den Mauern von Buckingham Palace und Windsor Castle.
Wieviel psychische Wunden die kalte, königliche Pflicht-Gehorsams-Erziehung in dieser Familie schlägt, erlebt man in „The King’s Speech”: Verstört hat George als kleiner Junge zu stottern angefangen, wird gezwungen, öffentliche Reden zu halten und von Logopäden bis zum Würgereiz traktiert, deren Methoden noch von einem stotternden griechischen Redner des 5. vorchristlichen Jahrhunderts stammen: mit Murmeln im Mund trainieren.
Aber am Ende des klassischen Dramaturgiebogens wird George über sich hinauswachsen, die Hemmung überwinden, Verantwortung für Volk und Vaterland übernehmen – und Nazi-Deutschland die Stirn bieten. So hat der Film alles: den klassischen Helden, dramatischen historischen Hintergrund und die persönliche Tragödie des Handycaps. All das schafft für den Zuschauer die anziehende Mischung aus Erhabenheit und Menschlichkeit, Bewunderung und identifikatorische Nähe. Dabei muss es ein Film auch historisch nicht ganz genau nehmen.
Denn um einen wärmenden Gegenpol zum grausam harten Vater (George V.) zu schaffen, ist die Ehefrau (gespielt von Helena Bonham Carter) menschlich aufgewertet. In Wirklichkeit ließ sie sich auch von ihren Kindern als „Queen” titulieren und verlauten: „Es war nie vorgesehen, dass wir menschenähnlich sind.”
Im Film dagegen darf sie liebevoll zu George stöhnen: „Und ich hatte gehofft, dass man mich mit dem Mann, der so süß stottert, in Ruhe lassen würde.” Gerade war George als König ins Rampenlicht getreten, nachdem sein Bruder ins Dandytum ausgewichen war, mit seiner Femme fatale, der doppelt geschiedenen, amerikanischen Miss Simpson den Thron verspielt und mit Hitler sympathisiert hatte.
Sympathisch gegen die royale Steifheits-Umgebung ist auch der Underdog Lionel Logue (Geoffrey Rush) gesetzt, als Amateur-Logopäde, der zum Psychotherapeuten und als einzig normaler Mensch zum Freund wird.
So ist die Geschichte dramaturgisch hervorragend ausbalanciert und schauspielerisch allseits oscarreif.
Adrian Prechtel
- Themen:
- Münchner Freiheit