Der Egomane geht
Bei Bruckner und Richard Strauss ist er der Beste. Auch bei Brahms, wenn er sich nicht gerade fahrig in Einzelheiten verliert. Sein pathetischer Beethoven ist aus der Zeit gefallen, wirkt aber dennoch in sich stimmig. Instrumentalsolisten und Sänger trägt er wie auf Händen.
Christian Thielemann ist einer der aufregendsten Dirigenten unserer Zeit. Er lässt niemanden gleichgültig und spaltet Konzertgänger in entschiedene Anhänger und wütende Verächter. Sein Repertoire ist auch längst nicht so beschränkt, wie seine Gegner glauben: Richtig aufregend wurde es, wenn er Tschaikowskys „Pathétique”, Schönbergs „Pelleas” oder „Verklärte Nacht”, Schreker oder zuletzt Mahler dirigierte.
Dass er München verlässt, um Musikchef der Dresdner Staatskapelle und Oper zu werden, ist künstlerisch ein Verlust. Allerdings hat er hier nicht nur dirigiert: Er war auch städtischer Generalmusikdirektor mit Letztverantwortung über die Münchner Philharmoniker. In dieser Rolle war Thielemann eine Katastrophe.
Weil er Brahms, Bruckner, Beethoven und Richard Strauss für sich vorbehielt, wurde es zunehmend schwer, angesehene Gastdirigenten zu finden. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist hier mittlerweile viel besser aufgestellt, weil Mariss Jansons von seinen Musikern nicht bedingungslose Gefolgschaft fordert, sondern jenen Freiraum gewährt, den ein Orchester zur künstlerischen Weiterentwicklung braucht.
Thielemann riss alles an sich, übernahm aber andererseits auch keine Verantwortung im mühevollen Tagesgeschäft. Er verirrte sich auf Seitenpfaden wie szenischen Opern mit dem Orchester in Baden-Baden, die vor allem seiner Karriereplanung dienten. Auf Reisen mit den Philharmonikern hatte er wenig Lust, obwohl gerade dieses Orchester Gastspiele braucht, um wieder die internationale Reputation zu erlangen, die seiner Qualität entspricht.
Auch in die für die Zukunft der Musikstadt München entscheidende Konzertsaal-Frage mischte sich Thielemann kaum ein. Er hat es versäumt, den Verantwortlichen im Rathaus Zunder zu geben und die fälligen Verbesserungen der Gasteig-Akustik einzufordern. Er allein hätte die nötige Unabhängigkeit dazu bessesen, aber es war ihm in seiner Egomanie letztlich gleichgültig. Und so halten viele Stadträte und potenzielle OB-Kandidaten die Gasteig-Akustik nach wie vor für ein bürgerliches Luxusproblem.
Der länger schwelende Machtkampf zwischen den Musikern und dem Dirigenten führte im Juni 2009 zum Bruch, als der Stadtrat auf Betreiben des Orchesters eine Vertragsverlängerung zu Thielemanns Bedingungen ablehnte. Es ist allerdings ungewiss, ob der es nicht absichtlich zum Eklat kommen ließ, weil ihn die von Fabio Luisi plötzlich im Stich gelassene Staatskapelle Dresden lockte. Es ist bezeichnend für Thielemanns seltsamen Stil, dass er erst nach dem Bruch mit dem Orchester allerlei philharmonische Missstände anprangerte, deren Beseitigung eigentlich seine Pflicht als Generalmusikdirektor gewesen wäre.
Im nächsten Jahr sind die Philharmoniker ohne Chefdirigent. Dann folgen drei Jahre unter Lorin Maazel. Wenn dann der Werbespruch vom „Orchester der Stadt” endlich mit Leben erfüllt und nicht jeder Wunsch nach Erneuerung mit dem selbstgefälligen Hinweis auf hohe Abonnentenzahlen abgebürstet wird, war die Thielemann-Krise nicht vergebens.
Das letzte Konzertprogramm
Hinterher wurden vor den Gasteig-Türen Autogrammkarten verteilt, den Sterbebildchen einer oberbayerischen Beerdigung nicht unähnlich. Dabei endete Thielemanns letztes Programm in schmetterndem C-Dur: Als Zugabe gab es die „Meistersinger“-Ouvertüre, aufgebretzelt mit ein paar mehr Trompeten als nötig, trotz sattem Klang durchsichtig und natürlich zuletzt bombastisch abgebremst, wie der scheidende Generalmusikdirektor es nun einmal liebt.
Da kam im sonst zurückhaltenden Gasteig noch Jubelstimmung auf. Im Hauptprogramm dirigierte Thielemann Musik des Impressionismus. Die Riesenbesetzung mit16 ersten Geigen erzeugte beim „Nachmittag eines Faun“ eine seidige Weichheit, die zwar nicht jedermann mit französischer Musik verbinden würde, aber trotzdem zwingend wirkte, weil dem Flötisten und den übrigen Bläser-Solisten Luft zum Atmen blieb. In „La Mer“ steuerte der Dirigent allerdings etwas zu selbstverständlich auf die Fortissimo-Steigerungen zu, „La Valse“ tanzte rhythmisch ein wenig zu derb auf dem Weltuntergangs-Parkett.
In den von Thielemann geliebten Burgunderklang wurde auch Mozarts Klavierkonzert KV 488 konserviert, ohne das dramatische Barrique-Note der Musik zu unterschlagen. Dem Solisten Radu Lupu war dies jedoch noch nicht altmodisch genug. Er ließ sich überhaupt nicht auf die vom Orchester ausgehende Innenspannung ein und ließ die Musik behaglich vor sich hinplätschern. Der Rumäne kann Schuberts oder Brahms’ Einsamkeitsmonologe ganz wunderbar mit Melancholie erfüllen, aber er ist kein Teamspieler, weshalb sich sein Auftritt in erlesener Langeweile erfüllte.