Der disziplinierte Diener des Publikums

In der Karriere des Tenors Salvatore Licitra ging es steil nach oben. Beim ersten Opernabend der Festspiele steht er in Verdis „Aida“ auf der Bühne
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Salvatore Licitra mit Kristin Lewis (Aida) bei einer Probe.
Wilfried Hösl 2 Salvatore Licitra mit Kristin Lewis (Aida) bei einer Probe.
Die Schluss-Szene der Münchner Neuinszenierung mit Salvatore Licitra und Kristin Lewis.
Wilfried Hösl 2 Die Schluss-Szene der Münchner Neuinszenierung mit Salvatore Licitra und Kristin Lewis.

In der Karriere des Tenors Salvatore Licitra ging es steil nach oben. Beim ersten Opernabend der Festspiele steht er in Verdis „Aida“ auf der Bühne

Eigentlich hatte er seine Berufsausbildung schon abgeschlossen. Als Graphiker wohlgemerkt. Doch eines Tages hörte seine Mutter, wie er einen Radiohit mitsang. „Sie sagte: ‚Du hast ja eine Stimme, daraus solltest du etwas machen!’ Ich hatte gerade mein Examen gemacht – und ich hatte keine Ahnung von Musik.“

Doch er nahm Privatunterricht und arbeitete hart. 1998 debütierte er in Parma in Verdis „Un ballo in maschera“, andere große Rollen seines Repertoires – Cavaradossi, Pinkerton, Manrico – folgten rasch. Im Dezember 2000 sang er an der Mailänder Scala Verdi so, wie es in der Partitur steht: Kein hohes C im „Trovatore“! Das Publikum wütete. „Ich war unglaublich glücklich, diesen ,Trovatore’ unter Riccardo Muti zu singen, den ich zutiefst bewundere und der mir so viel beigebracht hat. Und schließlich steht dieses hohe C nicht in der Partitur, auch nicht in der französischen. Warum? Verdi wollte es nicht haben. Warum wollte er es nicht haben? Weil nicht die Cabaletta, sondern die Arie davor das Wichtige ist, in der Verdi zeigt, dass Manrico alles für Leonora, für seine Liebe tun will.“ Aber ganz so eng sieht er es dann auch wieder nicht: „Wenn das Publikum auf dieses hohe C wartet, dann darf man ihm auch einmal ein Geschenk machen.“

Dann kam 2002 der Abend, an dem er an der Met für Luciano Pavarotti einsprang. Mit ihm wird Licitra seither oft verglichen. „Das ist natürlich ein sehr angenehmer Vergleich, ich bewundere ihn sehr! Aber es gibt schon große Unterschiede, etwa im Timbre und dadurch auch im Repertoire. Das liegt sicher daran, dass ich viel später angefangen habe als er.“

Schwierige Auftrittsarie

Den Radamès in Verdis „Aida“ hat er schon oft gesungen. Die Auftrittsarie bleibt aber eine Herausforderung. Nicht umsonst gilt sie als eine der schwierigsten des Tenor-Repertoires. „Zu Recht! Natürlich singt man sich vorher ein, trotzdem geht man mit der kalten Stimme auf die Bühne – eine wahnsinnige Herausforderung.“

Radamès ist für Licitra ein heroisch-romantischer Held, auf dem ständig ein großer Konflikt lastet: „Durch die Liebe verliert er komplett die Realität aus den Augen. Er will über Aidas Volk siegen, um sie zu befreien, das ist doch ein unglaublicher Widerspruch! Aber wenn er singt, er wolle Aida einen Thron nahe bei der Sonne errichten, dann möchte Verdi uns auch sofort begreifen lassen, dass die Liebe zwischen den beiden unmöglich ist.“

Christof Nels Neuinszenierung war bei der Premiere heftig umstritten. Licitras Haltung zum Regietheater ist eindeutig: Der Respekt vor dem Komponisten, vor der Partitur ist ihm wichtig, Neues probiert er gerne aus, Disziplin ist ihm selbstverständlich. Die Sensation um der Sensation willen aber lehnt er ab. „Als ich den Vertrag unterschrieben habe, wusste ich, dass es eine moderne Inszenierung wird. Ich möchte immer maximal die Idee des Regisseurs umsetzen, die ich respektiere. Schließlich bin ich Sänger, ich stelle meine Stimme zur Verfügung. Oper ist eine gemeinsame Arbeit. Wir alle müssen zusammen etwas erarbeiten, was das Publikum faszinieren kann.“

Klischees sind schlecht

Eigentlich hat er inzwischen alles erreicht. Was soll noch kommen? „Ich würde gerne mein Repertoire noch erweitern. Wenn ich an die Großen der Vergangenheit denke, Caruso, Corelli, di Stefano: Die haben uns gezeigt, wie man mit der richtigen Technik auch mit einer schwereren Stimme leichtere Partien singen kann, Gounods Faust, den Rodolfo in der ,Bohème’, auch den Herzog im ,Rigoletto’. Umgekehrt ist es schwieriger, gefährlich für die Stimme.“

Eine neue CD ist derzeit in Planung. „Ich möchte Tosti und neapolitanische Lieder singen und damit ein anderes Publikum ansprechen. Vielleicht kann man so Menschen für die Oper gewinnen. Denn wenn wir nichts unternehmen, sehe ich für die Zukunft der Oper schwarz.“

Wie lebt er als Italiener und Tenor mit den unvermeidlichen Klischees? „Schlecht, ganz schlecht! Darin erkenne ich mich nicht wieder. Das ist so wie bei anderen Klischees. Wohin ich auch komme, überall heißt es, ach, Italiener bist du? Mafia! Das ist nicht schön.“ Aber auch den Sänger-Kult liebt er nicht: „Wir werden leicht als Stars angesehen. Aber so bin ich nicht. Und ich habe auch Glück. Ich war zwar gleich ziemlich bekannt, aber für die Presse vielleicht einfach nicht interessant genug. Meine Freunde sind die von früher, mein Privatleben kann ich ungestört leben.“

Privates Glück

Im Moment ist er ganz besonders glücklich. „Ich habe im Januar einen schweren Unfall gehabt, ein Wunder, dass ich überlebt habe – jemand ist mir mit Tempo 80 in der Stadt vorn ins Auto gefahren. Eine Sekunde später, und ich wäre tot gewesen. Das hat mich nachdenklich gemacht über die wirklich wichtigen Dinge. Man sollte sich jeden Tag einfach freuen, dass man lebt und sehen, wie schön das Leben ist!"

Birgit Gotzes

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