Der diskrete Charme der Bourgeoisie

Die Ära Thielemann geht zu Ende. Ein Interview mit dem scheidenen Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker über die Konflikte an der Isar und seine Chancen, Dresden zu prägen
von  Georg Etscheit

Am Donnerstag, Freitag und Sonntag dirigiert Christian Thielemann noein Programm mit Werken von Debussy und Mozart. Dann reist er mit den Philharmonikern nach Wien. Dort endet am 1. Juni seine umstrittene Ära im Musikverein mit Bruckners Fünfter.

AZ: Herr Thielemann, soll sich mit dieser Symphonie ein Kreis schließen?

CHRISTIAN THIELEMANN: Hier schließt sich leider gar nichts. Als wir das Programm vor drei Jahren planten, war von meinem Wechsel nach Dresden noch keine Rede. Purer Zufall.

Gibt es ein Konzert mit den Philis, an das Sie besonders gerne zurückdenken?

Vielleicht der konzertante „Rosenkavalier”. Das war schon ein besonderer Abend. Aber eigentlich waren alle unsere Konzerte schön. Wir haben musikalisch immer an einem Strang gezogen.

Auch nach dem Bruch im Jahr 2009, als sich der Stadtrat auf Betreiben des Orchesters wegen des Streits über das Letztentscheidungsrecht bei der Programme von Gastdirigenten gegen Ihre bereits fertig ausgehandelte Vertragsverlängerung aussprach?

Erstaunlicherweise hat dieser Bruch zu keinerlei Qualitätsabfall geführt. Wir haben auf gleich hohem Niveau weitergespielt. Wissen Sie, es ging ja alles sehr schnell. Ich bekam das Angebot, die Sächsische Staatskapelle zu übernehmen und auch die Münchner hatten mit Lorin Maazel schnell einen wirklich ehrenwerten Nachfolger. Jeder freut sich jetzt auf die Zukunft. Das ist doch einmalig.

Hegen Sie keinen Groll gegen das Orchester oder die Münchner Politik?

Natürlich grollt man kurz, wenn so etwas passiert. Die Auseinandersetzung war ja völlig einmalig in ihrer Sinnlosigkeit und Idiotie. Aber es macht keinen Sinn, etwas nachzutragen. Hinterher sind sowieso alle schlauer und sagen, das haben wir alles nicht gewollt. Aber es ist eben geschehen. Punkt. Mehr möchte ich dazu nicht mehr sagen.

Was mögen Sie an München besonders?

In München gibt es noch diese bürgerlichen Strukturen, die ich sehr schätze. In Dresden, meiner künftigen Wirkungsstätte, ist das ähnlich. Dresden ist die einzige Stadt im Osten, in denen sich ein Bürgertum behaupten konnte, auch zu Zeiten des Kommunismus. Außerdem habe ich München immer als ideale Ergänzung zu Berlin empfunden. München ist nicht so versessen auf das „flippige”, „spannende”, die sogenannten „Brüche”. München ist eine wundervoll ungebrochene Stadt.

Wenn Sie meinen…

Ok. Natürlich hat auch München seine Brüche. Aber es macht nicht so viel Aufhebens darum. Die Stadt setzt mehr auf Kontinuität.

Was haben Sie sich für Dresden vorgenommen?

Zunächst freue ich mich darauf, wieder mehr Oper dirigieren zu können, da die Staatskapelle ja auch die Semperoper bespielt. Als ich vor sieben Jahren nach München kam, hatte ich die Nase etwas voll vom Theater. Doch das hat sich wieder gedreht. Frei nach Konrad Adenauer: Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern.

Wollen Sie Dresden stärker prägen als Sie vielleicht München geprägt haben?

Ja, ich will dort etwas bewegen. Das ist in Dresden vielleicht einfacher als in München. In Dresden sind Staatskapelle und Semperoper, wenn man mal von der Dresdner Philharmonie absieht, mehr oder weniger allein auf weiter Flur. Da hat das Wort des Chefdirigenten ein ganz anderes Gewicht als in München mit drei Spitzenorchestern.

Sie wollen die Stadt, was die Musik angeht, zu alter Größe führen?

Dresden soll musikalisch wieder den Rang einnehmen, der der Stadt zusteht. Wer stand dort nicht alles auf dem Podium? Welch wunderbare Stücke wurden dort nicht uraufgeführt? Denken Sie nur an den „Rosenkavalier”. Die Stadt hat ein ungeheures Potenzial. Und ein wunderbares Traditionsbewusstsein. Und die Staatskapelle ist ein unvergleichliches Orchester, das weltweit ganz oben mitspielt. Ich möchte, dass die Leute bald sagen, wenn man dieses oder jenes hören will, muss man nach Dresden kommen.

Werden Sie als Dirigent nach München zurückkehren?

Das kann schon sehr bald sein – mit der Staatskapelle. Die Philharmoniker brauchen jetzt etwas Ruhe und Abstand von mir und ich von ihnen. Was die Zukunft bringt, wird man sehen. Jetzt konzentriere ich auf Dresden, neben meinen Auftritten in Bayreuth sowie mit den Wiener und Berliner Philharmonikern. Und dann brauche ich ein wenig Freizeit. Mein Leben ist nicht nur Musik.

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