Der Chef im Ring

Musiker Thomas D. sucht bei der TV-Sendung „Unser Star für Baku“ die Musikhoffnung und glaubt an seine Version einer ehrlichen Casting-Show.  
von  Eric Leimann

Als das Telefon klingelte und ihn Stefan Raab fragte, ob er sein Nachfolger beim Eurovision Song Contest werden will, musste Thomas D. kurz überlegen. Der ehemalige Friseur und Hausmeister, der Rapper und Fanta-4-Musiker gilt als mediales Multi-Talent. Dennoch ist er als Anchorman einer großen TV-Show blutiger Anfänger.

Mangelnde Erfahrung will der 43-jährige Schwabe durch Einsatz und akribische Arbeit wettmachen. Um 20 Sänger für seine Casting-Show "Unser Star für Baku" (ab Donnerstag, 12.01., 20.15 Uhr, ProSieben und ARD) zu finden, schaute der zweifache Familienvater schon mal Hunderte von deutschen Sängern und Sängerinnen in Endlosschleife.

AZ: "Unser Star für Baku" hört sich irgendwie nicht so richtig glamourös an. Ist das "Jahr eins" nach Lena Belastungsprobe oder Chance für dieses Format?

Thomas D: Ich glaube, dass es ein Nachfolger im direkten Schatten von Lena sehr schwer gehabt hätte. Deshalb war es gut, dem Ur-Format ein Jahr Pause zu gönnen. Möglich war das, weil Lena ja noch einmal angetreten ist. Und weil man in dieser schon ganz anderen Show mit ihr als einziger Sängerin eben nur den richtigen Song suchte. Jetzt ist ein bisschen Zeit vergangen, Lena hat den zehnten Platz belegt, wir sind ehrenhaft aus diesem Wettbewerb rausgegangen. Die ganz große Euphorie um "unsere Lena" ist vorbei. Was die Chance eröffnet, dass wir ein ganz neues Talent finden. Eines, das sich nicht mit Lena messen muss.

Wie kam es dazu, dass Thomas D neuer Jurypräsident wird?

Man sagte mir, dass Stefan Raab gerne meine Telefonnummer haben möchte. Da dachte ich schon: Oh, wenn der Chef selbst anruft, nicht seine Firma, die bei meinem Management anklopft, ob ich bei der Wok-WM oder so mitmache, dann muss es sich um eine große Sache handeln. Er rief mich dann auch an und sagte mir erst mal, was er brauchte: Jemanden, der lange im Geschäft ist, eine feste Größe in der Musiklandschaft, der aber auch ein MC ist - also ein Mikro in die Hand nehmen und sprechen kann. Außerdem jemand, der einen neuen Künstler produzieren kann und so weiter. Langsam dämmerte es mir - er wollte mich zum neuen Jurypräsidenten machen. Trotzdem musste ich erst mal darüber nachdenken, ob ich das kann und will.

Hatten Sie Bedenken, eine Casting-Show zu unterstützten?

Nein, das nicht. Weil wir ja zu diesem Zeitpunkt - damals gab es noch kein "The Voice of Germany" - das ehrenhafte Gegenbeispiel dieser falschen Musik-Castingshows im deutschen Fernsehen waren. Alle Musiker, die Stefan Raab mit seinen Shows gefördert hat, machen auch heute noch begeistert Musik. Ob die jetzt Max Mutzke oder Stefanie Heinzmann heißen. Bei denen geht vielleicht nicht jede Platte durch die Decke, aber es sind leidenschaftliche Musiker, denen die Teilnahme an Stefans Shows einen soliden Start in eine musikalische Karriere verschafft hat. Dies ist für mich entscheidend. Unterstütze ich ein Format, das Menschen fördert, die leidenschaftlich für ihre Musik leben, oder führt es nur eine Geschichte vor? Letzteres lehne ich ab, und dafür stünde ich auch nicht zur Verfügung.

 Welche Art von Jurypräsident werden Sie sein?

Ein sehr spontaner - schätze ich. Tatsächlich weiß ich nicht, was ich sagen werde, wenn ich auf diesem Stuhl sitze. Ich habe es mir bewusst vorgenommen, das vorher nicht zu wissen. Wenn ich mir Casting-Shows anschaue, klingen viele Jury-Reaktionen seltsam vorformuliert. So etwas wird es bei mir nicht geben. Die Reaktion darf sich nur auf das beziehen, was man gerade gesehen und gehört hat: Ich will ehrlich, spontan und aus dem Bauch raus reagieren. Das gekünstelte Feedback, das es oft zu sehen gibt, finde ich schrecklich. Deshalb kommt es mir auch sehr gelegen, dass unser Format live ist. Andere Casting-Shows sind das nicht, was automatisch bedeutet, dass sie den dramaturgischen Moment des Auftrittes strecken und auch immer ein wenig inszenieren.

Letzteres passiert auch bei "The Voice of Germany" - was von vielen Kritikern als musikalisch glaubwürdiges Format gefeiert wird.

Genau, der Aspekt der Inszenierung fällt bei uns gänzlich weg. Wir sind da durchaus kleiner und auch ein wenig spröder als die großen Supershows. Bei uns geht es wirklich nur um die Musik. Aber wir haben auch einen großen Trumpf: Der Sieger vertritt Deutschland vor den Augen der Welt. Da gucken 120 Millionen Menschen oder so zu - das ist eine große Sache. In Verbindung mit dem Plattenvertrag, den es hinterher gibt, ist das auch eine Menge wert. Plattenverträge gibt es zwar auch bei anderen. Nur interessiert es bald keinen mehr, wenn das Format beendet ist und die ein, zwei oder drei Millionen Leute, die das geguckt haben, ihren Sieger gekürt haben.

Mit "DSDS", "X-Factor" und "The Voice Of Germany" gibt es derzeit drei aktuelle Gesangs-Castings-Shows im deutschen Fernsehen. Rechnet man das "Supertalent" noch hinzu, sind es mit "Unser Star für Baku" fünf mehr oder minder aktuelle Shows mit Sängern. Gibt es überhaupt noch unentdeckte Talente in Deutschland?

Glücklicherweise ja. Erstens wachsen ständig neue Talente nach. Außerdem bewerben sich bei uns teilweise Leute, die zu keiner anderen Casting-Show gehen würden. Menschen, die eine andere Ambition haben. Viele unserer Bewerber begleiten sich selbst auf der Gitarre oder dem Keyboard - da ist ganz viel Verständnis für die Musik da. Ich kann nur hoffen, dass die Zuschauer, die ja letztendlich entscheiden, dieses Verständnis auch erkennen.

Für wie musikintelligent halten Sie den deutschen TV-Zuschauer?

Ich glaube, dass die Menschen da draußen spüren, was echt ist und was nicht. Es wird ihnen zwar immer schwieriger gemacht, weil ihnen ganz viel Plastik als Gold verkauft wird. Trotzdem - wenn jemand talentiert ist und in drei oder vier Minuten sein Herz auf der Bühne öffnet, bin ich mir sicher, dass dies auch direkt im Herz der Zuschauer ankommt.

Wer macht die Vorauswahl der 20 Kandidaten, die der TV-Zuschauer zu sehen bekommt?

Die treffe ich letztendlich alleine. Das war mir auch sehr wichtig, als ich Stefan Raab zusagte. Alle Bewerber mussten nach Köln kommen und dort vorspielen. Dann gab es ein Team von Leuten meines Vertrauens, die machten eine Vorauswahl. Trotzdem werde ich am Ende zwischen 500 und 800 Kandidaten selbst angeguckt haben. Eigentlich ist das ein Wahnsinn, denn die meisten gucke ich nicht nur einmal, sondern vielleicht fünf- oder sechsmal - sofern die Leute gut sind. Je weiter du mit der Auswahl kommst, desto schwieriger wird es, Leute rauszuwerfen - weil die dann alle schon ziemlich gut sind.

Wie viele Menschen haben sich beworben?

Es waren zwischen 5.000 und 6.000. Und ich verbringe meine Tage und Abende seit geraumer Zeit vor allem mit dem Durchschauen von Casting-Videos.

Hat bei Ihnen jeder Bewerber die gleiche Chance?

Das ist mein Ziel! Trotzdem wäre es vermessen, dies auch zu behaupten. Man muss immer aufpassen, dass man nicht abstumpft. Dass man nach 15 schwächeren Vorträgen nicht den 16. Kandidaten, der das besondere Etwas hat, übersieht. Aber - ich betreibe diese Aufgabe mit großer Ernsthaftigkeit und ich habe ja auch viel Erfahrung. Dazu gehört, dass man selbst regelmäßig Pausen beim Anschauen macht, dass man die Nervosität der Kandidaten abzieht und dass man sie beim kleinsten Zweifel noch mal anschaut. Manche Sänger habe ich 15 Mal gesehen, bevor ich mich entscheide.

Hört sich so an, als ob Stefan Raab bei diesem Format wirklich draußen wäre. Mussten Sie um Ihre Eigenständigkeit kämpfen?

Nein. Ich denke, Stefan hatte nichts anderes vor, als sein Baby in verantwortungsvolle Hände zu geben. Es war aber auch die Bedingung meinerseits. Schon in unserem zweiten Gespräch - noch vor meiner Zusage - machte ich ihm klar, dass ich es nur dann mache, wenn ich der Chef im Ring bin. Ich bin nicht dein neuer Elton, sagte ich. Ich bin der D.

Wenn Sie an Ihre erste Show denken - worauf freuen Sie sich - wovor haben Sie Angst?

Den größten Bammel habe ich vor jenem Moment, wenn der erste Kandidat gesungen hat und danach zum ersten Mal der Präsident gefragt ist. Das ist auch für mich der erste Auftritt als Gastgeber einer großen Abendshow im Fernsehen. Gespannt bin ich aber auch darauf, wie ich reagiere, wenn ich einen Kandidaten favorisiere, der aber bei den Zuschauern auf der Kippe steht. Natürlich freue ich mich auf Baku (das Finale findet am 26. Mai statt, d. Red.) - darauf, Deutschland dort zu vertreten. Das wird mit Sicherheit ein einzigartiges Erlebnis für mich werden.

Interview: Eric Leimann

 

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