Der Blockbuster-Schock
Cannes: Heuer ist es ein Film, auf den die Welt – nach Vorstellung der Paramount – 19 Jahre gewartet haben soll: „Indiana Jones“, der Vierte.
Das ist neu: Roberto Saviano ist da, Autor des Enthüllungsromans „Gomorra“, und er wird beschützt von Sicherheitskräften in Zivil, die als Presseleute getarnt sind. Gerade wurde die Kino-Adaption von „Gomorra“ gezeigt, ein beklemmender Film ohne das befürchtete Blutbad – und damit noch viel eindringlicher. Die Pressekonferenz war spontan verschoben worden, und Saviano kündigte an, heute abend nicht zur Gala-Vorführung zu kommen. Denn mit dem Erfolg des Buchs und nun des Films, wachse für ihn die Gefahr.
Das Einzige, was die Mafia fürchtet, ist die Meinungsfreiheit in einer Demokratie. Ist das nicht der Traum eines jeden US-Studiobosses: Fast 4000 Journalisten versammelt und ein Roter Teppich als Super-Promo-Show, übertragen ohne Sonderkosten in alle Welt. So nutzt man in Cannes, dass keiner der hier teuer Logierenden den inszenierten Hype verpassen will.
Angebotsknappheit
Heuer ist es ein Film, auf den die Welt – nach Vorstellung der Paramount – 19 Jahre gewartet haben soll: „Indiana Jones“, der Vierte. Um die Hysterie zu erhöhen, spielt man mit Angebotsknappheit. Die 250 geladenen Gäste im Carlton sind offiziell alle „Filmemacher“, die Presse darf nicht rein, man hat sie zum Marketing-Arm der Major-Studios gemacht. Denn tief sitzt noch der „Da-Vinci“-Schock, den Cannes vor zwei Jahren in Hollywood auslöste und der das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen cinephilem Festival und Blockbuster-Startrampe noch verschlechtert hat. Denn es passierte für Sony der Medien-Gau: Als abends Tom Hanks und Audrey Tautou am Roten Teppich erschienen, war ihr Lächeln eingefroren. Denn kurz nach der Pressevorführung, Minuten vor der Abendgala waren die ersten vernichtenden Kritiken verbreitet worden. Die Pressehunde hatten zugebissen. Der Film war angeschlagen schon vor der Premiere.
Also hat man diesmal die Presse-Daumenschraube für „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ noch einmal angezogen. Gegen jede Seriosität finden die wenigen Interviews zum Film schon vor der Pressevorführung statt, was kritische Fragen ausschließt. Im Kino dann zwei Stunden gequirlter Blödsinn, keine Lacher, simple Anspielungen auf frühere Abenteuer, alles gesetzt in die 50er Jahre mit altbackener Kommunisten-Hysterie und Atompilz-Visionen. Am Ende war alles doch nur die Schuld von Außerirdischen. Erich von Däniken wäre stolz auf diesen Film. Und wenn dann Harrison Ford als Indiana Jones noch unter die Haube kommt, wissen wir endgültig, dass Schluss ist mit diesem Kinoabenteuer, dessen Zeit längst abgelaufen ist.
Aber weil in Cannes eben noch Filmkunst zählt, drehen sich die Gespräche auch um den „Scoop“, den Treffer, den Woody Allen gelandet hat mit „Vicky Cristina Barcelona“. Gewohnt schüchtern sitzt Allen im Pressesaal. Neben ihm eine gerührte Penélope Cruz, weil der Altmeister des psychologischen Humors eine Rolle nur für sie geschrieben hat, als eifersüchtige Ex-Frau von einem Mann, der im wirklichen Leben ihr Lebensgefährte ist: Javier Bardém, den sie gleich zum „besten Schauspieler der Welt“ erklärt. Im Film gibt es eine Menage à trois zwischen den beiden und Scarlett Johansson. Und das ist das Erotischste, was man seit langem im Kino gesehen hat – und das Witzigste. Denn hier trifft, von Woody Allen wunderbar verdichtet, das sinnlicheSexbomben-Amerika auf das feurige Latino-Europa. Das schlägt Funken.
Filme aus den Nebenreihen
Die bewegendsten Augenblicke lieferten bisher ohnehin Filme aus den Nebenreihen: Mike Tyson, tief gefallener Ex-Box-Superstar, betrat in einen Anzug gepresst gegen Mitternacht am Ende des Dokumentarfilmes über ihn, linkisch die Bühne, gerührt von dem Intellektuellen-Applaus, und erklärte, wie geehrt er sei, in Cannes zu sein, denn so etwas wie ein glamouröses Filmfestival kenne er nicht. In der Doku hatte er offen über seine Sexsucht und Minderwertigkeitskomplexe gesprochen.
Auch der deutsche Film hatte einen applaudierten Auftritt. Dabei hatte Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) mit „Wolke 9“ dem Kritikerpublikum ein schwieriges Thema serviert: Liebe (und Sex) im Alter. Aber nach ein paar Schreckminuten über einige Senioren-Orgasmen rührte der Film alle: Alter schützt vor Liebe nicht!
Adrian Prechtel