Kritik

Der bekiffte "Figaro" im Nationaltheater

Die Bayerische Staatsoper bringt Mozarts Oper in der Inszenierung von Evgeny Titov neu heraus
Michael Bastian Weiß |
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In den Cannabiswald gekommen: Konstantin Krimmel als Figaro und Louise Alder als Susanna.
Wilfried Hösl In den Cannabiswald gekommen: Konstantin Krimmel als Figaro und Louise Alder als Susanna.

Hanf beruhigt. Wie wir aus der Literatur und unzähligen Filmen wissen, kann das aus dem Harz der Blüten gewonnene Haschisch auch zu Gedächtnisverlust führen: Dem Konsumenten wird alles egal. So gesehen ist die Hanfplantage, vor deren Kulisse Evgeny Titov seine Neuinszenierung der Oper "Figaros Hochzeit" von Wolfgang Amadeus Mozart teilweise spielen lässt, ein gutes Sinnbild für die gesamte Produktion: Sie präsentiert ein paar Ideen und Requisiten (Bühne/Kostüme: Annemarie Woods), vergisst dann aber zu kommunizieren, warum.


Zu Beginn des dritten Aktes zum Beispiel raucht Graf Almaviva einen Joint. Doch anstatt ihn daraufhin im Rauschzustand zu zeigen, durchgeknallt oder zumindest sich erratisch verhaltend, lässt Regisseur Titov den Effekt verpuffen wie den kaum zu sehenden Dampf auf der Bühne der Staatsoper. Der Brite Huw Montague Rendall ist ein junger, mit seinen langen blonden Haaren ansehnlicher Almaviva, sein lyrischer Bariton ist weich, ganz ohne jene Gefährlichkeit, wie sie die Rolle wenigstens in geringer Dosis erfordern würde: War es das Kiffen, das ihn so gezähmt hat? Das wäre ein Grund, vom Haschisch die Finger zu lassen, selbst, wenn die Droge bald von höchster Regierungsstelle aus erlaubt ist.


Und dann ist da noch der Luststuhl, der den ersten Akt ziert: ein im kitschigen gothic style gehaltenes Möbel, dessen Fußstützen sich spreizen lassen, um Platz für vier sich pittoresk drehende Dildos zu machen.

Wird der gräfliche Schwerenöter darauf einer regelrechten gynäkologischen Untersuchung unterzogen? Nein, das ist dem Publikum wohl nicht zuzumuten. Immerhin nimmt Konstantin Krimmel als ein locker parlierender, ansprechend jugendlicher Figaro auf dem Trumm Platz, um anzudeuten, was es an exotischen Praktiken ausführen könnte - aber ausgerechnet auf der Theaterbühne nicht darf.

Drogen- und Sado-Maso-Witze für einen schnellen Lacher zu benutzen, dann aber, wenn es zur Sache gehen könnte, den Schwanz einzuziehen: Seitens der Inszenierung ist das an rührender Harmlosigkeit kaum zu überbieten, das Publikum aber ist dadurch so etwas wie einem andauernden coitus interruptus ausgesetzt.

Einer der besten Gags ist bloße Folge der Besetzung: Der berühmte Sir Willard White, Jahrgang 1946, ist ein dunkelhäutiger Doktor Bartolo, was die Überraschung, als er sich als Figaros leiblicher Vater herausstellt, mehr als glaubhaft macht. Ansonsten gibt es von den Nebenfiguren (Marcellina: Dorothea Röschmann, Basilio: Tansel Akzeybek) viel Gekicher und Grimassieren, weil sie von der Regie allein gelassen wurden.

Über die im Stück aufkeimende echte Erotik, wenn die beiden Damen den Knaben Cherubino aus- und verkleiden, wird hingegen hinweggegangen. Dass diese Szene hier so stark wird, liegt allein an den Sängerinnen: Elsa Dreisig ist mehr unsicheres Mädchen als huldvolle Gräfin, ihre Leidensfähigkeit in der Höhe rührt tief, während Avery Amereau als Cherubino androgyn pubertierend zwischen einer kostbar eingehüllten Mitte und einer fulminanten, fast schon - aber nur fast - männlichen Tiefe changiert. Louise Alder als Susanna lässt hier eine Melodie erblühen, tupft dort ein paar köstliche Töne hin, präsentiert überhaupt einen grandios weit dimensionierten Sopran: ein weiblicher Tausendsassa, die ihrem Figaro in nichts nachsteht.


Die Leerräume, die von der Inszenierung offengelassen werden, werden vom glänzenden Bayerischen Staatsorchester gefüllt. Zumal es Stefano Montanari am Pult versteht, Mozarts farbenprächtige Instrumentierung zu akzentuieren. Dass der gelernte Barockgeiger kein geborener Operndirigent ist, wird immer dann klar, wenn er bei Arien und Ensembles das anfangs genommene, meist hurtige, Tempo nicht halten kann, sobald eine Sängerin oder ein Sänger mehr Zeit für die Entfaltung ihrer Stimme einfordern.

Man kann es ihnen nicht verdenken, zumal sie ihrerseits viel damit zu tun haben, sich gegenüber der Begleitung der Rezitative durch ein eitel sich in den Vordergrund drängelndes Hammerklavier zu behaupten. Ein greller, nerviger Effekt, der vom Eigentlichen ablenkt: ein weiteres, klingendes Sinnbild dieser Inszenierung.

Wieder am 5., 9., 12. und 14. November im Nationaltheater. Karten unter Telefon 21 85 19 20 und www. staatstheater-tickets.bayern.de

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