Der Austernfischer

Der Chef des Münchener Kammerorchesters über das Aids-Konzert am kommenden Freitag und seine Pläne als koreanischer Festival-Leiter
von  Abendzeitung

Der Chef des Münchener Kammerorchesters über das Aids-Konzert am kommenden Freitag und seine Pläne als koreanischer Festival-Leiter

Letztes Jahr kamen 18000 Euro für das Café Regenbogen in der Lindwurmstraße zusammen. Beim dritten Aids-Benefizkonzert am Freitag hoffen die Musiker des Kammerorchesters, dieses Ergebnis übertreffen zu können. Alexander Liebreich, 40-jähriger Dirigent aus Regensburg, ist ein Grenzgänger zwischen großen Orchestern und flexiblen Ensembles.

AZ: Herr Liebreich, was gibt es heuer zu hören?

ALEXANDER LIEBREICH: Wichtig ist mir, kein Schaulaufen mit einem Dutzend populärer Ausschnitte zu bringen, sondern ein ernsthaftes Programm mit drei Solisten. Der Pianist David Fray spielt Bachs Klavierkonzert d-moll. Auf seiner neuen DVD reißt er starke Sprüche, wenn er die Deutsche Kammerphilharmonie dazu anhält, Bach ohne Bierbauch zu spielen. Das macht mich gespannt auf die Proben.

Ist Händel danach eine Reminiszenz ans Jubiläumsjahr?

Nein. Wir machen heuer auch keinen Haydn, der sonst regelmäßig in unseren Programmen vorkommt. Die Arien aus „Ariodante“, „Giulio Cesare“ und „Giustino“ sind optimal für den Countertenor Andreas Scholl und das kleiner besetzte Kammerorchester.

Am Ende hat noch der Geiger Daniel Hope einen Auftritt.

Er spielt die Serenade von Leonard Bernstein, ein neoklassizistisches Werk mit Bezügen zu Platos „Symposium“. Mit dem Orchester mache ich eine frühe Mozart-Sinfonie sowie „Rakastava“ von Sibelius. Das ist eine wenig bekannte Miniatur-Tondichtung über eine Liebesgeschichte, komponiert für Streicher und Pauken.

Warum engagiert sich das Orchester für die Aidshilfe?

Die Immunschwäche ist aus dem Bewusstsein verschwunden. Wir spielen heuer zugunsten der HIV-Therapiehotline, bei der sich Betroffene und Angehörige anonym informieren können. Die Beteiligung wächst von Jahr zu Jahr: Diesmal stellt BMW kostenlos Fahrzeuge und Fahrer für den Transport der Solisten zur Verfügung, die im übrigen ohne Gage auftreten.

Sie leiten neuerdings für drei Jahre das Festival in Tongyeong. Wo liegt das?

Etwa sechs Autostunden von der südkoreanischen Hauptstadt Seoul entfernt, in einer schönen, mit Neapel vergleichbaren Bucht, wo nach Austern gefischt wird. Tongyeong ist Geburtsort des Komponisten Ysang Yun, der in Deutschland lebte und die westliche Moderne mit der koreanischen Tradition verband. In seinem Geist versucht das Festival, alte und neue Musik zusammenzubringen. Das ist für Asien ungewöhnlich, wo sonst Mainstream vorherrscht.

Sie waren 2003 Gastprofessor in Nordkorea. Hatten Sie deshalb im Süden Probleme?

Nein. Ich habe immer betont, dass die Professur vom Goethe-Institut von Seoul ausging, das auch Nordkorea betreut. In Pjöngjang sitzt kein eigenes Institut, sondern nur eine einzelne Person, die einen Lesesaal betreut. Er ist ein Potemkinsches Dorf: Niemand kann privat durch die Stadt wandern, geschweige denn, diesen Lesesaal besuchen. Wenn ausländische Besucher kommen, wird er eigens mit Darstellern bestückt.

Was ist Ihre Aufgabe in Tongyeong?

Paragraph eins lautet: Alle Programme und Einladungen von Solisten wandern bei mir über den Tisch. 2011 soll nach Luzerner Vorbild ein Festival-Orchester gegründet und Unsuk Chins Oper „Alice in Wonderland“ aus dem Nationaltheater übernommen werden. Eben wurde ein Grundstück gekauft, auf dem ein Festspielhaus nach Plänen von Frank O. Gehry errichtet werden soll.

Und wer hört sich die ganze Musik an?

Das Publikum ist durchschnittlich 25 bis 30 Jahre alt. Wichtiges von Mahler und Bruckner wurde erst in den 80er Jahren in Korea erstaufgeführt. Ganz Asien hat Hunger nach neuer Musik und viele interessante Komponisten. Es ist daher kein Zufall, dass das Kammerorchester bei der nächsten Biennale das Werk einer Chinesin zur Uraufführung bringt.

Robert Braunmüller

Prinzregententheater, Fr, 20 Uhr. Restkarten: Tel. 461364-30

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