Kritik

Den Weltschmerz herausschreien

Die Kammeroper "4.48 Psychose" von Philip Venables nach Sarah Kane in der Reaktorhalle
Robert Braunmüller
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Sieben Frauen jenseits des Nervenzusammenbruchs: Die Studierenden der Opernklasse der Hochschule für Musik und Theater in der Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Cordula Treml 4 Sieben Frauen jenseits des Nervenzusammenbruchs: Die Studierenden der Opernklasse der Hochschule für Musik und Theater in der Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Cordula Treml 4 Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Cordula Treml 4 Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.
Cordula Treml 4 Die Kammeroper "4.48 Psychose" in der Reaktorhalle.

Vor 20 Jahren hatte jedes Theater die dramatischen Schocker von Sarah Kane im Spielplan. Aber seitdem ist es um die Dramen der Britin still geworden, die den Hass auf die Welt und das Leben herausschrieen. "4.48 Psychose" war der letzte Text, den sie vor ihrer Selbsttötung schrieb, und weil dieses Stück genau davon handelt, wurde er fast zwanghaft autobiografisch verstanden.


2016 hat der britische Komponist Philip Venables daraus eine Oper gemacht, die nun als Aufführung der Bayerischen Theaterakademie in der Reaktorhalle an der Luisenstraße zu sehen ist. Der eher brutale Raum mit seinen Betonwänden ist für dieses Stück ideal, und die so kraftvolle wie laute Musik rückt dem um das szenische Geschehen und das kleine Orchester herum platzierten Zuhörer in sehr direkter Weise auf die Haut.

Sechs junge Frauen in Freizeitkleidung hängen anfangs zu typischer Fahrstuhlmusik herum, dann haut der Schlagzeuger auf die Große Trommel, dass es nur so kracht. Die Frauen singen weltschmerzliche Madrigale, Gespräche der Patientin mit ihrem Therapeuten werden stumm auf die Betonwand projiziert, wobei zu jedem Wort mit einer Latte auf eine Europalette geschlagen wird.

Auch Sägen und eine Sirene erklingen in dieser postmodernen Katastrophenmusik, die typische Avantgarde mit einem Popsong und Anklängen an Alte Musik verbindet. Hin und wieder zeichnen sich Duette ab. Im Vordergrund steht allerdings der Ensemblegesang, überwiegend in Forte-Regionen. Da ist Venables in die sehr offene Falle geraten, Verzweiflung mit Dauergeschrei zu verwechseln.

Wer Kanes Stücke primär als Äußerung einer existenziellen Verzweiflung in Erinnerung behalten hat, dürfte die Oper als Verengung verstehen: Hier steht die Krankheit im Vordergrund. Der Komponist hat sich aus (verständlichen) musikalischen Gründen dazu verleiten lassen, Kanes Monolog auf sechs Frauenstimmen aufzuteilen. Das passt fast zu gut zur titelgebenden Krankheit, bei der die Patienten unter Halluzinationen oder Wahnvorstellungen leiden.


Das Stück schildert allerdings - zumindest aus heutiger Sicht - eine besonders krasse Form von Depression. Dass diese medikamentös und therapeutisch durchaus mit Erfolg behandelbare Erkrankung mit künstlerischen Mitteln pathologisiert wird, kann man angesichts der immer noch verbreiteten sozialen Ignoranz gegenüber auch anderen psychischen Erkrankungen in der Leistungsgesellschaft durchaus ärgerlich finden.

Die Inszenierung von Balász Kovalik verstärkt diese Tendenz noch: Elisabeth Freyhoff, Laura Mayer, Tamara Obermayr, Harpa Ósk Björnsdottir, Julia Pfänder und Katya Semenisty spielen unfrisierte und in typischer Sanatoriumskleidung abhängende Patientinnen, die sich in Asche wälzen und denen ein schwebender Engel Tabletten zuwirft und die gegen Ende eine Maltherapie versuchen. Der Regisseur ist andererseits nicht um seine Aufgabe zu beneiden, dieses Stück bebildern zu müssen: Eine gewisse Beliebigkeit scheint da unvermeidlich.

Das auf Neue Musik spezialisierte Ensemble der gelbe klang unter Maria Fitzgerald begleitet kompetent und farbig. Es schadet durchaus nicht, dass die Theaterakademie diese 2019 in Dresden mit Erfolg nachgespielte Kammeroper hier gezeigt hat, weil in München dank der Biennale zwar viele Werke dieses Formats uraufgeführt, aber kaum nachgespielt werden. "4.48 Psychose" krankt aber am alten Problem vieler Literaturvertonungen, einen offenen Text durch die Musik in einen allzu engen Rahmen zu zwängen. Und leider muss man auch sagen, dass diese Oper mit ihrem Hass auf Medikamente und jede Form von Behandlung ein Bild von psychischen Krankheiten zeichnet, das dem Verständnis eher abträglich ist.

Wieder am 27. und 29. Oktober in der Reaktorhalle, Luisenstraße 37a, Karten über theaterakademie.de

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