Den Klang im Auge

Musik im Haus der Kunst – in seiner ersten Schau stellt der neue Direktor Okwui Enwezor das Münchner Plattenlabel ECM und dessen legendären Kopf Manfred Eicher aufs Podest
Christa Sigg |
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Was will er eigentlich zeigen? Kunstfixierte gaben sich einigermaßen verwundert, als Okwui Enwezor im Januar seine Pläne vortrug. ECM hatte der Neue im Haus der Kunst als Thema seiner ersten von ihm konzipierten Ausstellung im Sinn, das Münchner Plattenlabel also, dessen drei Lettern Jazz-Fans im ehrfürchtigen Flüsterton über die Lippen geht. Sicher, Legenden sind irgendwann ein Fall fürs Museum.

Dabei fühlt sich Manfred Eicher, Gründer und Spiritus rector des einzigartigen Unternehmens – ein zartes Unbehagen kann man unterm inzwischen weißen Langhaar ausmachen – „frisch für weitere Schandtaten”. Und was die Präsentation im Kunsttempel betrifft, hat der gelernte Bassist mit seinem Lebensprojekt ECM eine ganz eigene, unverwechselbare Ästhetik entwickelt, die den Klang wie Habitus und Optik betrifft. Die Plattencover jedenfalls sprechen in ihrem meist melancholisch-monochromen Minimalismus eine ganz eigene, radikal beruhigte Sprache auf einem überbordenden Markt knallbunter Verpackungen. Was von Barbara Wojirsch, der Chefgrafikkünstlerin des Hauses, in einem eigenen Raum zu sehen ist, könnte genauso in einer Galerie hängen.

Doch wie zwirbelt man 43 Jahre Musik in einer Schau auf? Wer alles erfassen wollte, gibt Co-Kurator Markus Müller unumwunden zu, müsste sich bis zur Finissage im Februar hier einnisten und dauerhören beziehungsweise -gucken. Selbst bei einem ausgedehnten Besuch kann man nur Häppchen goutieren, sich in Hörkabinen auf die Klänge von John Cage und Keith Jarrett – sein alle Verkaufsdimensionen sprengendes „Köln Concert” hat Eicher 1975 produziert –, Morton Feldman, Kancheli oder Gesualdo konzentrieren. Aber man gewinnt auch im Schnelldurchgang einen Eindruck von einer Qualität, die dauernd über Grenzen hinaus will, vom Feilen am Sound, von einer Philosophie.

Und Fotografien aus den ECM-Archiven bringen die Fitzelarbeit im Tonstudio nahe: Dieter Rehm, Takashi Itoh, Deborah Feingold oder Roberto Masotti gelingt es, musikalisches Feingefühl ins Bild zu transportieren. Dazu kommen Filme wie Peter Greenaways Porträt von Allrounderin und ECM-Aushängeschild Meredith Monk oder Theodor Kotullas „See the Music”, in dem Free-Jazzer Marion Brown samt Quintett zu sehen ist – und ein junger Manfred Eicher am Kontrabass. Oder Jean Luc Godards Klassiker „Nouvelle Vague”, für den der Mann mit den untrügbaren Ohren den Soundtrack zusammengestellt hat und vor dem der Regisseur den schönsten Hut zieht mit der Bemerkung: „Wenn Sie die Tonspur meines Films hören, ohne die Bilder zu sehen, ist das sogar noch besser.”

Dauernd trifft man auf Großheroen, Chick Corea, Jan Garbarek, Dave Holland und Steve Reich, auch die Hilliards oder Arvo Pärt. Und was in einer Kunstausstellung die Picassos oder Richters sind, das ist hier mit den Masterbändern aus der ECM-Schatzkammer in eine mächtige Schrankwand gepackt. Man sinniert allenfalls wie der Journalist Wolfgang Sandner (der im Katalog durch einen hinreißenden Essay vertreten ist) über eine fiktive Zusammenarbeit Eichers mit dem phobisch-skrupulösen Glenn Gould. Sonst ist alles Vorführbare da in dieser ambitionierten Hommage an die Edition of Contemporary Music und deren mittlerweile 69-jährigen Kopf. So kündigt es Enwezor auch an. Wenn er allerdings eine „künstlerisch-kritische Neubewertung” anstrebt, dann verkennt er schlicht, dass die Bedeutung des Labels längst über den Dunstkreis deutscher Feuilletons hinausgedrungen ist.

Bis 10. Februar, Katalog (Prestel) 49.95 Euro

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