Demokratie zum Draufsetzen

Bitte nehmen Sie Platz: Die Pinakothek der Moderne zeigt Ikea-Möbel aus sechs Jahrzehnten. Mit dabei sind alte Bekannte wie Billy, zackige Designerstücke wie Vilbert oder auch die verspielte Leuchtserie Svarva - alles zur Eigenmontage versteht sich.
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Bitte nehmen Sie Platz: Die Pinakothek der Moderne zeigt Ikea-Möbel aus sechs Jahrzehnten. Mit dabei sind alte Bekannte wie Billy, zackige Designerstücke wie Vilbert oder auch die verspielte Leuchtserie Svarva - alles zur Eigenmontage versteht sich.

Wer seine Wohnung einigermaßen funktional und formschön einrichten will, ohne dafür ein Vermögen auszugeben, der kommt an dem Möbelhaus mit den blaugelben Großbuchstaben kaum vorbei. Und trotz allem „Schraubst du noch oder wohnst du schon“-Frust kann man bei der Eigenmontage die ausgetüftelt-materialsparende Konstruktion bewundern.

Jetzt zeigt eine Schau der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne die hochwirksame Design-Offensive durch Ikea: Beginnend bei Werksentwürfen eines Beistelltischs und Dreibeinstuhls aus den 50ern bis zur spielerischen Leuchtenserie „Svarva“, 2008 entworfen vom Gestalterinnen-Kollektiv Front.

Die Birke wächst

„Ikea bietet Design für alle und hat damit die Wohnwelt revolutioniert“, begründet Hufnagl die museale Präsentation. So trifft man auf der Freitreppe vor dem großen Setzkasten nun auf eine Reihe von Billy-Regalen – daneben deren angebliches Urtypus, ein Regal aus Bruno Pauls Vereinigten Werkstätten von 1908. Die „Kalas“-Plastikbecher sind zwar ein hübsch-buntes Füllsel, aber deren Existenzberechtigung im Museum erklärt sich dadurch nicht. Bengt Rudas Ohrensessel „Caveli“ (1959) hingegen demonstriert eindrucksvoll Formwillen, das Schrankmodul nebenan gibt eine Ahnung vom Prinzip Baukasten-System.

Drüben im Paternoster-Raum wächst eine Birke: Sie steht für die Zentrale in Älmhult und die Grundidee, die Schweden-Tradition (Carl Larsson) und skandinavische Moderne (Alvar Aalto) vereint. Hier kann man die Bug- und Schichtholzmöbel (aus typisch hellem Birkenfurnier) bewundern, etwa Noboru Nakamuras Freischwinger „Pöang“ (1977), aber auch Verner Pantons zackige Sitzmöbel-Variante „Vilbert“ von 1993.

Billy für alle

Eine wichtige Rolle spielt die Einrichtung für Kinder, ob die verstellbaren roten Stühlchen „Anna“ von 1963 oder die Bugholz-Wippe von 2007. Viel Platz wird auch dem Thema Nachhaltigkeit eingeräumt – obgleich etwa Maria Vinks Schaukelstuhl „Gullholmen“ aus Bananenfasern eher ein gut gemeintes Symbolprodukt als Form- und Funktions-Höhepunkt ist.

Sammlungsdirektor Florian Hufnagl, seit seiner Studentenzeit selbst begeisterter Billy-Besitzer, hat die Ikea-Klassiker eingebettet in den Kontext der Designgeschichte. Für ihn steht die Massenware aus Schweden im Geiste der „Humanisierung der Gesellschaft durch Gestaltung.“ Doch über den nicht ganz unumstrittenen Weltkonzern, 1943 gegründet von Ingvar Kamprad – der aus seinen Initialen sowie denen des elterlichen Bauernhofs und des nächstgelegenen Ortes den Markennamen baute – erfährt man wenig. Der vom Gemischtwarenladen in Smaland zum milliardenschweren Global Player wuchs; allein in Deutschland gibt es 44 Filialen mit rund 13000 Mitarbeitern.

Lohndumping

Dass Kamprad als junger Mann eine nationalsozialistische Vereinigung mit Geld unterstützte, woraus in Schweden bei der Enthüllung ein schwerer Image-Schaden resultierte, bleibt außen vor. Ebenso, dass der Möbel-Gigant aus steuerlichen Gründen durch eine Stiftung in den Niederlanden getragen wird.

Ungesagt bleibt auch, dass die wunderbar-egalitäre Ikea-Welt nur für Kunden gilt, weniger für Arbeiter. Und dass „Democratic Design“ nur auf der Basis globalen Lohndumpings möglich ist.

Roberta De Righi

Bis 12. Juli, Di –So, 10 bis 18, Do bis 20 Uhr

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