"Deichkind" oder Das Manifest der kommunistischen Party

Die Hamburger Hip-Hop-Band "Deichkind" ist mit ihrer neuen CD „Arbeit nervt“ auf Tour und spielte - zuletzt auch in München - in ausverkauften Hallen. Was ist dran am Phänomen „Deichkind“?
von  Abendzeitung

Die Hamburger Hip-Hop-Band "Deichkind" ist mit ihrer neuen CD „Arbeit nervt“ auf Tour und spielte - zuletzt auch in München - in ausverkauften Hallen. Was ist dran am Phänomen „Deichkind“?

Der Exzess

Aus ihren Songs schreit es nach wilder Party und dem Wunsch nach Enthemmung. Ein durchaus verständliches Konzept, denn: „Mäßigung ist eine verhängnisvolle Sache. Nichts ist so erfolgreich wie der Exzess“, so Oscar Wilde. Und in Bezug auf die Hamburger hat der irische Schriftsteller damit genau ins Schwarze getroffen. Mittlerweile gelten "Deichkind" geradezu als Botschafter der Ausschweifung. Mit ihrem Soundtrack zur feucht-fröhlichen Anarchie füllen sie die Hallen. Phillip Grütering, Ferris MC, Sebi Hackert, DJ Phono und Porky grölen Party-Parolen, tragen bunte Mülltüten und tröten mit Fußball-Sirenen während sie mit einem Schlauchboot durch das Publikum surfen.

Auch der Alkohol fließt auf die eine oder andere Art in Strömen. So wird bei Konzerten das Publikum aus einer riesigen Zitze mit Alkohol versorgt oder die Zuschauer auf einem Open-Air-Konzert aufgefordert, eine Bierschlacht zu veranstalten. Tausende Partygänger gehorchen: Schütteln ihr Bier und tanzen fröhlich in einer klebrigen Malzfontäne. Gerade in einer gesellschaftlichen Depressionsphase nicht der schlechteste Ort um Urlaub vom Ich zu machen. Daunenkissen werden entleert und in die Menge geworfen und dabei bunte Fahnen, auf denen Parolen wie „Yippih Yippih Yeah“ stehen, geschwungen. All das wirkt wie eine Mischung aus der Weihnachtsfeier der Linkspartei und einem Kindergeburtstag für Erwachsene.

Hört ihr die Signale?

Auch beim ersten Lied ihrer Platte kann man die Party spüren, denn dort fragen Deichkind: „Hört ihr die Signale, die Saufsignale?“. Und man möchte lauthals JA schreien, so energetisch durchdringt die Musik einen sofort. Man bewegt sich automatisch mit und kommt auch in der S-Bahn in Feierlaune. Der Text, eigentlich infantil bis dämlich, funktioniert: Man singt mit. Die Band kokettiert dabei mit anarchischen Parolen, eingefasst in Gröl- und Saufästhetik während die dröhnenden Beats den Kopf im Takt nicken lassen. Selbst Scooter hätten an „Techrapn“, so nennt die Band den Musikstil selbst, der eine Mischung aus wummernden Beats und Rappassagen darstellt, ihre helle Freude. In dieser Beziehung bleibt sich Deichkind treu: Sie bringen einmal mehr tanzbare Partymusik und geben einen Persilschein zum toben.

Ein Kessel Buntes

Jedoch: „Es gibt da auch noch Methaebenen die eine Rolle spielen. So beispielsweise Macht, Bühnenhierarchie oder generell Hierarchien.“, erklärt DJ Phono, der gleichzeitig auch Regisseur der wirren Show ist. Ob man die allerdings in diesem bunten Kessel erkennt, ist eine andere Sache. Das entscheidende aber ist die Resonanz. Und die ist durchweg positiv. Danach haben Scharen feierlauniger Mitzwanziger offensichtlich gesucht. Das Publikum das meist aus links angehauchte Studenten besteht sucht sich sein Ballermanngefühl beim Deichkindkonzert. Denn alles, was man braucht, ist eine Legitimation zum Feiern.

Was den älteren Herrschaften ihr Hansi Hinterseer und den Mallorca-Affinen Jürgen Drews ist, wurde in Kreisen der Studentenschaft lange vergeblich gesucht. „Unabhängig von Eliten gibt es den Bedarf nach Spaß, nach Rausch, nach Exzess. Jede Elite sucht sich die Form der Unterhaltung, in der sie sich wiederfindet“, meint der DJ der Formation. Feiern gerne, auch exzessiv, aber doch mit einer leicht ideologischen Unterfütterung. „Exzess hat auch etwas mit Freiheit zu tun. Also in wieweit man sich freimacht von Zwängen und Erwartungen.

"Als Besucher geht man auf ein Deichkindkonzert und traut sich dort etwas zu sein, was man sonst nicht ist.“, so DJ Phono weiter. Die selbsternannte „großkotzige Kleinkunst“ wird von einer subversiven linksideologischen Grundkonstruktion gestützt, die geschickt mit dem Wissen ihrer Zuhörer spielt. Man muss zwar Marx und Engels nicht gelesen haben, schaden tut es aber nicht, einen Blick darauf geworfen zu haben, um zu verstehen. Denn zu wissen woher ein „Hoch auf die internationale Getränkequalität“ ursprünglich stammt, erweist sich durchaus als Lustgewinn. Umdeutung kommunistischer Rhetorik auf die Anforderungen der spaßbereiten Massen also. Deichkind gibt in ihren Texten die Legitimation zum „Sau-raus-lassen“ für die Intelligenzia.

Am 26. Januar 2009 geben "Deichkind" ein München-Zusatzkonzert in der Muffathalle.

Martin Müller

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