Das Wunder folgt auf den Wolkenbruch
Nun glüht der Spruch in den oberen Fenstern des Residenztheaters, über den Sitzen der Bar „Zur schönen Aussicht”. Ein Satz in rotem Neon, der schon mal auf der Webseite des Resis zu lesen war: „Hier werden keine Wunder geschehen”. Das Wort „keine” flackert an und aus, einleuchtend, denn man sollte doch nichts Außerweltliches vom Theater erwarten. Aber manchmal ergibt sie sich ja doch, die Magie, wie von selbst. „Ich glaube an Wunder”, meint der rumänische Regisseur Radu Afrim. „Als ich mit meiner Ausbildung begann, war mir das egal. Aber mit den Jahren wuchs der Glaube, wobei es nur gemeinsam, in der Gruppe entstehen kann.” Und dann findet er noch ein Bild: „Das Wunder ist für das Theater wie das Benzin fürs Auto.”
Nach seinem Regie-Abschluss an der Universität Babes-Bolyai in Cluj inszenierte Afrim bevorzugt zeitgenössische Stücke, etablierte sich seit 2000 als Theaterwilder, der bei europäischen Festivals Furore machte. Nun hat es den 41-Jährigen nach München verschlagen, wo er erstmals an einer deutschen Bühne inszeniert. Ein Stück aus dem fernen Australien. Das Residenztheater habe ihm Andrew Bovells „Am Ende des Regens” vorgeschlagen, berichtet Afrim, „es verträgt sich gut mit der Welt, die ich bislang konstruiert habe. Es hat Poesie, Gefühl, geht ins Surreale.”
Eine Familientragödie in Rückblenden
Und beginnt mit einem Wunder. Strömender Regen in Alice Springs, dann fällt ein Fisch vom Himmel, genau vor die Füße von Gabriel York, der im Jahr 2039 seinen Sohn zu Besuch erwartet. Bovell entwickelt dann ein vier Generationen umspannendes Familiendrama, das bis ins London der 1960er zurückführt. Auch dort regnet es. „Draußen gibt es eine Flut” meint Radu Afrim. „Aber im Inneren der Figuren gibt es eine Leere, eine Unfähigkeit, sich dem anderen mitzuteilen, sich der Wahrheit zu stellen.” 1988 kreuzen sich schicksalshaft die Linien der Familien Law und York in der australischen Wüste. Gabriel York wird gezeugt, sein Vater aber stirbt bei einem Autounfall. Wie es zu dem Unfall kam, welche Schuld die Familie belastet, enthüllt sich in ineinandergeschachtelten Rückblenden. Zur Orientierung des Zuschauers haben Afrim und sein Dramaturg einen Prolog erfunden, bei dem die Figuren vorgestellt werden.
Zu erwarten ist außerdem physisch intensives Theater. „Wenn ich auf der Bühne keine Aktion sehe”, meint Afrim, „fehlt mir etwas. Ich brauche eine Energie, die von außerhalb der Sprache kommt.” In München traf er auf Schauspieler, die vor den Proben den ganzen Text lernen wollten. „Rumänische Schauspieler machen das nie. Bei den Proben ändern wir so viel, dass das keinen Sinn machen würde.” Improvisation ist für Afrim wichtig, die Körpersprache. Bei seiner Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern” (2003) schmiss er die letzten zwei Akte hinaus und vertraute allein auf die physische Ausdruckskraft seiner Darsteller. „Es war sehr Tschechow, nur ohne Worte.”
In Rumänien war die Inszenierung ein Skandal, die Kritik dort sei konservativ, bedauert Afrim, wobei die Zensur heute lange nicht mehr so durchgreifen würde wie zu Zeiten Ceausescus. Von dessen Regime habe er wenig mitbekommen, seine Jugend verbrachte Afrim in Transylvanien. Heute ist Rumänien EU-Mitglied und sucht nach Maßnahmen gegen Korruption und organisierte Kriminalität. „Wir haben viele Probleme. Als Künstler muss man sich mit der Gesellschaft befassen.”
Zweimal gewann Afrim in seiner Heimat den UNITER-Preis als bester Regisseur, 2009 den Kulturpreis Europa. „Die Preise helfen, dass man seine scheinbar skurillen Einfälle freier in die Tat umsetzen kann. Hier in Deutschland muss ich aber bei Null anfangen.” Was den Rumänen jedoch wenig zu stören scheint. Kein Wunder.
Cuvilliéstheater, Sonntag, 19 Uhr, Restkarten Abendkasse
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