Das wissen nur die Götter

Deutschsprachige Premiere: Im Salzburger Landestheater spielt Martina Gedeck „Harper Regan“ unter der Regie von Ramin Gray. Getrieben von familiären Problemen um Pädophilie-Vorwürfe gegen ihren Mann, lernt die Figur der Harper Regan die dunkle Seite des Menschen kennen.
von  Abendzeitung

Deutschsprachige Premiere: Im Salzburger Landestheater spielt Martina Gedeck „Harper Regan“ unter der Regie von Ramin Gray. Getrieben von familiären Problemen um Pädophilie-Vorwürfe gegen ihren Mann, lernt die Figur der Harper Regan die dunkle Seite des Menschen kennen.

Eine Frau sieht rot. Auf den Plakaten in Salzburg ist das Gesicht von Martina Gedeck zu sehen, in hitziges Dunkelkammer-Rot getaucht, die Konturen verschwimmen. Gedeck schaut über die Schulter, der Blick geht zurück, auch in „Harper Regan“, dem aktuellen Stück des Dramatikers Simon Stephens, das heute im Salzburger Landestheater unter der Regie von Ramin Gray seine deutschsprachige Premiere hat.

Gedeck spielt die Titelfigur, eine Sekretärin, Ehefrau, Mutter in einem profillosen Vorort in London, die sich in einer moralischen Zwickmühle befindet: Eigentlich müsste sie zu ihrem todkranken Vater nach Stockport reisen, doch sie hängt in ihrem Jobgefängnis fest. Wenn sie reist, deutet ihr Chef an, fliegt sie raus. Eine existentielle Bedrohung, denn Harpers Mann ist wegen eines Vorfalls in der Vergangenheit zur Arbeitslosigkeit verdammt. Der Architekt hat zehnjährige Mädchen an einem Planschbecken fotografiert und die Bilder auf seinen Computer geladen. Als das bekannt wurde, musste die Familie umziehen. Ist ihr Mann ein Pädophiler? Hat er Kinderpornographie verbreitet? Harper weiß es nicht. Und zieht los.

„Die Götter haben den Himmel verlassen“

„Sie taucht in dieses Schwarze ein und guckt, wie sich das anfühlt“, erzählt Martina Gedeck. „Und ob das denkbar ist, dass sie, die unbeschadet und gut ist, Dinge tut, die verboten sind.“ Nachdem sie im Krankenhaus in Stockport war, macht Harper in einem Pub die Bekanntschaft eines Journalisten. Seinen Annäherungsversuchen entzieht sie sich gewaltsam. Danach trifft sie sich auf eine Internet-Annonce hin in einem Manchester Hotel mit einem Fremden, gespielt von Manfred Zapatka. „Auch das treibt sie an“, meint Gedeck. „Dass sie sich jemanden anvertrauen will. Aber erst in diesem Fremden findet sie jemanden, der ihr zuhört.“

Auf der Suche nach Kontakt kann das Schicksal in Stephens Stück aus heiterem Himmel zuschlagen. Ein Stück Mauer fällt einmal auf Harper Regan, doch als sie nach oben blickt, kann sie die Quelle nicht entdecken. „Die Götter haben den Himmel verlassen“, meint Regisseur Ramin Gray, „Und ihr Haus zerfällt. Das wirft Fragen nach der Moral auf: Wenn wir in einer gottlosen Welt leben, wie schaffen wir uns Prinzipien, nach denen wir uns richten können? Woher wissen wir, was richtig und was falsch ist?“

Pädophilie?

Gray lernte Simon Stephens 2000 am Royal Court Theatre kennen, in London inszenierte er 2006 die Uraufführung von Stephens Stück „Motortown“. Der in Stockport geborene Autor beschreibt in seinen Stücken die harte Realität in den Industriestädten Mittelenglands. Dennoch gewinne er den Konflikten positive Seiten ab, so Gray: „Harper kommt zurück, erzählt ihrem Mann, was sie getan hat. Das ist schwierig, aber auch eine großartige Sache. Ich glaube, dass es der Familie zuletzt besser geht, dass sie einem gegenseitigen Verstehen näher gekommen sind.“

Für Gray bleibt Schuld oder Unschuld von Harpers Mann ungeklärt, der Vorwurf der Pädophilie ist für ihn ein Symptom einer sicherheitsverrückten Gesellschaft: „Dieser neurotische Impuls, alles zu kontrollieren, ist sehr gefährlich. Man weiß ja nicht, warum er diese Fotos schoss und was er mit ihnen gemacht hat.“ Für Martina Gedeck ist jedoch allein die Existenz der Bilder Beweis dafür, „dass etwas im Argen ist“.

Auch hinsichtlich der philosophischen Ausrichtung des Stücks scheinen sich beide uneins zu sein. So ist für Gedeck der vom Himmel fallende Mauerstein eher ein Stein des Anstoßes: „Die Menschen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Götter überhaupt noch wahrzunehmen. Insofern wird dieser Mauerstein heruntergeworfen, damit Harper aufwacht und auf die Reise geht. Das sagt sie dann auch: Die Häuser hier sind nicht sicher!“ Verschiedene Ansichten also zu einem vielschichtigen Stück. Ob die Spannung zwischen den Meinungen zu einer spannenden Inszenierung geführt hat, wird sich heute Abend auf der Bühne zeigen.

Michael Stadler

Die Premiere ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen: 25. bis 29.8., 19.30 Uhr, Tel. 0043-662-8045 500

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