Das wichtigste Quiz der literarischen Welt

Schwedisches Roulette: Am heutigen Donnerstag verkündet Horace Engdahl den neuen Träger des Literatur-Nobelpreises
von  Abendzeitung

Schwedisches Roulette: Am heutigen Donnerstag verkündet Horace Engdahl den neuen Träger des Literatur-Nobelpreises

Dieses Mal liegt Martin Walser daneben. Botho Strauß solle seiner Meinung nach den Literatur-Nobelpreis bekommen, weil er „frei ist von Oppositions-Opportunismus“, erklärte er dem Magazin „Zeit Literatur“. Nun, Strauß, der Weise aus der Uckermark, gehört mit Sicherheit nicht zum engeren Kandidatenkreis, doch welchen Namen Horace Engdahl, Lyriker und „Ständiger Sekretär“ der Schwedischen Akademie, am heutigen Donnerstag um 13 Uhr verkünden wird, ist auch in Fachkreisen völlig ungewiss.

Und dazu hat Horace Engdahl mit seiner Amerikaschelte vergangene Woche selbst beigetragen. Die Autoren dort seien nicht „das Zentrum der literarischen Welt“, hätten sich wie auf einer Insel eingeigelt, und würden bei ihren Büchern nach dem Massengeschmack schielen, hatte er verkündet.

Die üblichen Verdächigen: Pynchon, Roth, DeLillo und Updike

Sofort begannen die Spekulationen. War dies die definitive Absage an die US-Dauerfavoriten wie Thomas Pynchon, Philip Roth, Don DeLillo und John Updike? Oder hatte Engdahl, der das Spiel mit falschen Fährten liebt, seine bizarre Kritik nur geäußert, um davon abzulenken, dass dieses Mal wirklich ein amerikanischer Autor „dran“ sei. Schließlich liegt die letzte Ehrung der US-Literatur schon 15 Jahre zurück: 1993 wurde Toni Morrison ausgezeichnet.

Für Amerikaner sieht es schlecht aus

Engdahl bekam für seine unsinnigen Äußerungen Schelte. „Man sollte meinen, dass uns der Chef einer Jury, die Namen wie Marcel Proust, James Joyce und Wladimir Nabokov übersehen hat, solche kategorischen Belehrungen erspart“, meinte David Remnick vom „New Yorker“ nicht ganz zu Unrecht. Auch die Geehrten der letzten vier Jahre – Elfriede Jelinek, Harold Pinter, Orhan Pamuk, Doris Lessing – verstärkten den Verdacht, dass es der schwedischen Jury nur am Rande um literarische Qualität geht, der Preis wohl eher unter gesellschaftspolitischen Aspekten verliehen, der in den Statuten genannte Idealismus-Begriff betont wird. Dann aber sieht es für die Amerikaner – allen voran für das „Phantom“ Pynchon – nicht sehr gut aus.

Beim Wettbüro Ladbrokes führt Claudio Magris

Wer gilt nun als Favorit für die Ehre (und 1,1, Millionen Euro)? Seit der britische Wettanbieter Ladbrokes im Jahr 2006 mit Orhan Pamuk richtig lag, gelten dessen Quoten als richtungsweisend. Aber schon im folgenden Jahr ging die Prognose schief, auf Doris Lessing hatte kaum einer gesetzt. Im Herbst 2008 führt nun der Italiener Claudio Magris die Wettliste an (bei einer Quote von drei zu eins) vor Adonis 4/1 und den gleichrangigen Amos Oz, Joyce Carol Oates und Philip Roth (je 5/1). Und wenn die Jury doch Bob Dylan wählt (bei einer Quote von 150 zu eins die finanziell lukrativste Option), hat die Akademie dann einen Wettskandal zu befürchten?

Gar nicht erst gelistet ist der portugiesische Autor António Lobo Antunes, der mit seinen sprachmächtigen Romanen den Preis schon lange verdient hätte, aber wohl noch einige Geduld mitbringen muss. Schließlich gewann erst vor zehn Jahren sein Landsmann José Saramago.

Heuer ist ein orientalischer Lyriker dran

Folgt man dieser Logik, so wäre nach Doris Lessing der wahrscheinlichste Preisträger männlich und möglichst nicht europäisch: der unter seinem Künstlernamen Adonis bekannt gewordene syrisch-libanesische Lyriker Ali Ahmad Said. Deutschsprachige Preisträger sind nicht nur wegen Elfriede Jelinek in den nächsten Jahren unwahrscheinlich, es fehlt auch die internationale Anerkennung.

Unter den rund 60 bei Ladbrokes gelisteten Autoren ist die in Rumänien geborene Herta Müller die einzige auf Deutsch schreibende. Botho Strauß wird nicht genannt, Martin Walser schon gar nicht. Aber Horace Engdahl hat schon immer gerne alle überrascht.

Volker Isfort

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