Das Topmodel, das im Parkhaus schläft

Das ZDF beschäftigt sich mit Models: noch nicht per Castingshow, sondern in Spiel- und Dokumentarfilmen. Den Anfang macht ein Werk, das perfekt in die prekär arbeitsteilige Single-Gesellschaft passt.
von  Abendzeitung

Das ZDF beschäftigt sich mit Models: noch nicht per Castingshow, sondern in Spiel- und Dokumentarfilmen. Den Anfang macht ein Werk, das perfekt in die prekär arbeitsteilige Single-Gesellschaft passt.

Im März hat auch das öffentlich-rechtliche ZDF das Privatfernseh-Erfolgsgenre der Castingshow übernommen. Es begann, neue Popsuperstars zu suchen, bloß im Gewand des Muscialstars, das dem eher älteren Sender-Publikum mehr behagt. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis der Kernersender auch junge Leute castet, denen nicht zur Aufgabe gestellt wird, Queen-Songs zu singen, sondern auch unter schwierigen Bedingungen hübsch zu sein, so wie es Heidi Klum mit großem Publikumserfolg auf Pro Sieben und im US-Fernsehen tut. Am ZDF-eigenen Superstar Thomas Gottschalk mit seinem Faible für attraktive junge Frauen würde es jedenfalls nicht scheitern. Vorläufig jedoch nimmt sich die Redaktion «Kleines Fernsehspiel» auf ihre Weise des Themas Schönheit an: mit Spiel- und Dokumentarfilmen von Nachwuchs-Filmemachern, die meist aufregender als der 20.15 Uhr-Mainstream und oft keineswegs weniger zugänglich sind. Die Reihe «Der schöne Schein» beginnt an diesem Montagabend mit dem großartigen Spielfilm «Valerie». Valerie ist Model, eine Polin (wie die Schauspielerin Agata Buzek), die aus Paris nach Berlin kommt und über Weihnachten im Hotel Hyatt absteigt. Scheint es. Ihre Wohnung in Paris hat sie aufgelöst und die beweglichen Güter, die sie behalten will, in ihrem Mercedes verstaut. Sagt sie.

Scheitern an der Schranke

Der Film verfolgt Valerie, wie sie mit Kolleginnen, Agentinnen und Fotografen wie Jaro (Birol Ünel) spricht und zwischendurch ins Hotel geht. Dort tritt ihr Problem zutage. Die Kreditkarte, mit der sie an der Rezeption bezahlen will, funktioniert nicht. Sie hat überhaupt kein Geld. Was sie besitzt, hat sie am Leib oder im Wagen in der Tiefgarage. Nach einem Gespräch mit ihrer Agentin, die für sie einen weniger attraktiven denn lukrativen «Hostessen-Job» in Dubai in Aussicht hat, bietet Valerie ihr den Gefallen an, sie noch rasch zum Flughafen zu fahren.

Allerdings, um mit dem Wagen aus dem Hotelparkhaus zu kommen, muss an der Schranke an der Ausfahrt die Parkgebühr entrichtet werden. Da scheitert Valerie, auch dafür fehlt das Geld. Die eilige Agentin ist längst weg, während Valerie noch mit dem Parkwächter streitet. Spätestens hier wird klar, was für ein großartiger Film «Valerie» ist. Er fasst das Problem seiner Protagonistin niemals in Worte, wie es die meisten dialogorientierten Fernsehfilme täten - einfach, weil nur Valerie davon weiß und eben mit keinem ihrer zwar zahlreichen, doch nicht gerade eng befreundeten Bekannten darüber spricht. Der Film bringt ihr Problem aber auch nicht in einer extravaganten Bildsprache zum Ausdruck, wie es Kino-Kunstfilme versuchen würden. Das Problem wird allein durch die Schere deutlich, die zwischen Valeries Schauseite in einzelnen Situationen und ihrem Leben an sich aufgeht.

Glamourwelt-Erfahrungen

Kein Film-Charakter bekommt das ganze Bild von ihr zu sehen. Nur die Zuschauer sehen und hören sowohl an, wie Valerie ihrer Agentin vorspielt, es gehe ihr gut, als auch, wie sie kurz darauf mit dem Parkwächter um ein paar Euro streitet. Nur die Zuschauer sehen, wie Valerie sich nach einer im Parkhaus verbrachten Nacht ins Hotel einschleicht und in einem Zimmer ein Bad nimmt, während der zahlende Hotelgast frühstückt. Das gelingt ihr dank ihrer Glamourwelt-Erfahrungen knapp, sie ist für den nächsten Termin wieder in Form. Valerie macht das wie selbstverständlich. Sie macht ja auch, was ihr Job als Model ist: den schönen Schein zu wahren, selbst unter widrigen Bedingungen, die Heidi Klum auch immer simuliert, um ihre Topmodel-Kandidatinnen zu prüfen. So spiegelt die Film-Handlung Prinzipien der Casting-Gesellschaft, die mitunter extreme Individualität der Single-Gesellschaft und die Arbeitsteiligkeit, in der die Gesellschaft wirtschaftlich funktioniert. Dabei sind weder der Film, noch seine Titelheldin wehleidig. Valerie könnte sich das natürlich gar nicht erlauben, sie hat aber auch keinen Anlass. Alle, die sie kennt, sind nett zu ihr. Der Fotograf, früher wohl ihr Liebhaber, schießt sogar zu Weihnachten neue Fotos von ihr und verlangt selbstverständlich kein Geld. Eine Freundin leiht ihr einen Pelzmantel. Es ist ja kalt im Dezember in Berlin. Dass es dann ausgerechnet der Parkwächter (schon wieder eine feine Rolle für Devid Striesow, neulich erst im ARD-Stasidrama «12 heißt: Ich liebe dich» zu sehen) ist, der etwas tieferes Interesse an Valerie entwickelt, ist auch konsequent. Parkwächter in der Hoteltiefgarage ist auch ein prekärer Job - ähnlich wie das Modeldasein, zumindest dann, wenn es nicht (mehr) um Topmodels geht, sondern um solche, die sich über Hostessenjobs in Dubai freuen.

Unverschämte Sendezeit

So lebt «Valerie» weder durch eine komplexe Drehbuch-Konstruktion (obwohl am Skript fünf Autorinnen schrieben), noch durch außergewöhnliche Bildsprache, sondern einfach durch grandiose Einfach- und Klarheit. Die Kulisse bildet die funktionale Gespenstischkeit des Potsdamer Platzes, die auch Regisseure wie Christian Petzold («Gespenster») nutzen - und an dem sich auch die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) befindet. Dort hat die Regisseurin Birgit Möller studiert. Möller sagte dem ZDF in einem Interview, ihr Film sei zwar eine Low-Budget-Produktion, aber: «Ich finde schön, dass man dem Film das nicht unbedingt ansieht». Auch Valerie arbeitet daran, dass man ihr nicht ansieht, dass sie kein Geld hat: Schon daher ist dieser Film ganz bei sich. Wermutstropfen hier wie nahezu immer, wenn es um die «Kleinen Fernsehspiele» des ZDF geht: die wieder einmal recht unverschämte Sendezeit. Montagnachts von 0.10 bis 1.30 Uhr können sich eigentlich nur Menschen, die am Dienstagmorgen nicht arbeiten müssen, so etwas ansehen. Ausgerechnet das ZDF, das dank der sicheren GEZ-Einnahmen überhaupt nicht prekär zu wirtschaften braucht, versteckt seine besten Filme selbst dann im Nachtprogramm, wenn sie wie «Valerie» ohne Weiteres einem breiteren Publikum zugemutet werden könnten. Zur Hauptsendezeit wird lieber Eskapismus à la «Zwei Herzen und zwölf Pfoten» verbreitet (wobei zu Ehren des ZDF gesagt werden muss, dass mitunter auch montags auch um 20.15 Uhr gute Filme zu sehen sind; der heutige, «Zeit zu leben», gehört dazu).

Zwischen Eisenach und New York

Ein «Kleines Fernsehspiel», dem im Jahr 2000 ausnahmsweise ein Sendeplatz im Hauptabendprogramm vergönnt war, bildet am 26. Mai den Abschluss der neuen Reihe. «Bin ich sexy?» von Regisseurin Katinka Feistl und Autorin Sabine Brodersen erzählt von einer pummeligen 15-Jährigen (Marie-Luise Schramm), die für ihre Sexyness Bauchtanzunterricht und auch sonst vieles unternimmt. Dann wird sie von Haarausfall geplagt... Das neuere Schaffen von Regisseurin Feistl - wie «Valerie»-Regisseurin Möller Jahrgang 1972 - zeigt übrigens, dass es junge Filmemacher auch nach hoch gelobten Debütfilmen selbst bei Erfolg in der Fernsehbranche nicht leicht haben, eigenen Handschriften und hohen Ambitionen treu zu sein. Feistl drehte zuletzt für Privatsender: erst die Romantikkomödie «Wenn Liebe doch so einfach wär» mit Yvonne Catterfeld, die zwar Sat.1 ordentliche Quoten, ihr aber keine Meriten einbrachte. Dann folgten zwei Folgen «Die Anwälte» mit Kai Wiesinger. Das war die Serie, die RTL im Januar unmittelbar nach der ersten (nicht von Feistl inszenierten) Folge absetzte. Die weiteren Folgen gab es bis heute überhaupt nicht zu sehen. Film 2 der ZDF-Reihe ist ebenfalls eine Erstausstrahlung und widmet sich einem Thema, dem sich Heidi Klum gerade erst widmen beginnt: männlichen Models. Anne-Kristin Jahns porträtiert in «Generation Model» den Gymnasiasten Paul Boche, der in Eisenach in einem Haus mit Ofenheizung wohnt, wenn er nicht gerade in New York oder Paris modelt. ZDF-Reihe «Der schöne Schein»: «Valerie», Montag, 28. April, 0.15 Uhr «Generation Model», Montag, 5. Mai, 0.15 Uhr «Make up», Montag, 19. Mai, 0.15 Uhr «Bin ich sexy?», Montag, 26. Mai, 0.00 Uhr

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.