Das Rauschen in der Stille
Die Wüste im Innern und das Rauschen einsamer Monologe: Philipp Jescheck inszeniert »Dingos« im Volkstheater mit Justin Mühlenhardt und Xenia Tiling.
Schauspielerei, das kann wie ein Trip in die Wüste sein, wenn die sprachlichen Oasen einen weiten Raum offen lassen, der eingeengt werden muss, damit die Konturen klar werden. Zwei prägnante Gesichter hat Philipp Jescheck für seine Inszenierung von „Dingos“, dem neuen Stück von Paul Brodowsky („Stadt, Land, Fisch“) bereits gefunden, zwei junge Talente, frisch im Ensemble des Münchner Volkstheaters, nun gemeinsam in einem dunklen Beziehungs-Duett, das am Donnerstag auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters uraufgeführt wird.
Justin Mühlenhardt kommt direkt von der Otto-Falckenberg-Schule, Volkstheater-Chef Christian Stückl hat ihn im November beim Intendanten-Vorsprechen entdeckt und nach einem weiteren Vorsprechen in das junge Team aufgenommen. „Dingos“ ist Mühlenhardts erster Ausflug in den professionellen Spielbetrieb. Manchem ist er bereits ins Gedächtnis geschlichen, als alter, gemächlich in die Familienkatastrophe tappender Patriarch Filippo in der Falckenberg-Produktion von Goldonis „Trilogie der schönen Ferienzeit“. Für diese Rolle, erzählt Mühlenhardt heute lächelnd, habe er sich einiges von Christoph Leimbacher abgeguckt, dem Regisseur und damaligen Direktor der Falckenberg-Schule.
In „Dingos“ bleibt der Nürnberger, Jahrgang 1982, in seiner Altersklasse: Der 27-jährige Georg fährt mit Freundin Carla in die australische Wüste, wo sie die öden Stellen entdecken, die sich unter der Oberfläche ihrer Beziehung verbergen: „Georg hat unverrückbare Ansichten“, meint Mühlenhardt, „im Zwischenmenschlichen ist er verarmt. Er hofft, dass sich in der Einsamkeit der Wüste klären lässt, weshalb Carla mit einem anderen eine Affäre hatte. Dann eskaliert die Situation.“ Im Verlaufe ihres Beziehungskriegs verliert sich das Paar immer mehr in der Wüste und lässt sich in ein traumverlorenes Delirium fallen.
Der Realismus wird von Anfang an gebrochen, kein Auto soll auf der Bühne stehen, obwohl das Stück fast gänzlich hinter dem Steuer spielt. „Das ist ja auch das Spannende“, meint Carla-Darstellerin Xenia Tiling, „wie man den Wagen etabliert, um dann klare Bilder für die Fahrt zu finden.“ Das Ungefähre der Situation hält die Absolventin der Berliner Ernst-Busch-Schule gerade für reizvoll: „Das ist ein moderner Text von einem etwa gleich alten Menschen geschrieben. Paul erklärt nicht viel, da haben wir die Freiheit, selbst festzulegen, was dies oder jenes bedeutet.“ Zahlreiche Erfahrungen mit entstaubten Klassikern liegen hinter ihr, seit dieser Saison gehört die gebürtige Hamburgerin zum Volkstheater-Ensemble, spielte die Maja in Brechts „Baal“ oder eine jugendlich aufgepeppte Version von Lady Macbeth.
Das Rauschen einsamer Monologe
Eigentlich gehe sie eher rational an ihre Figuren ran, erklärt Tiling, bei „Dingos“ hieß es „einfach rein in die Rolle“. Eine „spontane, flirrige Person“ sei Carla, die in einem unbedachten Moment ihren Freund betrügt. Animalische Anziehungskraft versus Kopflastigkeit – Georg, der Intellektuelle, vergleicht den Nebenbuhler mit den australischen Wüstenhunden: „Die Dingos stehen für das Fremde, Schwer-Begreifliche, Unbekannte“, meint Justin Mühlenhardt. Selbst war er noch nie in der Einöde, Xenia Tiling erinnert sich an einen Ausflug in Israel: „In der Früh bin ich mit jemand in die Wüste gefahren, vor Sonnenaufgang. Eine wahnsinnige Erfahrung: Vor lauter Stille war nur noch das eigene Rauschen im Ohr zu hören.“ In „Dingos“ versiegt die Kommunikation in einem Rauschen einsamer Monologe. „Da zeigt sich, was passiert, wenn man sich nicht mehr ablenken kann und zum Kern vordringt“, so Mühlenhardt. Eine unerträgliche Leere offenbart sich in „Dingos“, die Wüste im Innern, gespielt von zwei Schauspielern mit ganz viel Perspektive. Michael Stadler
Volkstheater, 20., 22., 30. und 31.3., 19.30 Uhr, Tel. 523 46 55