Das Paradies liegt am Wörthsee
MÜNCHEN - Hans Traxler, Zeichner von "Birne" und Held von "Pardon" bis "Titanic", wird auch schon 80. Der Letzte der „Neuen Frankfurter Schule“ hat Sehnsucht nach Bayern und erzählt von der Kunst, über Jahrzehnte leicht zu sein
Nein, sagt Hans Traxler, Grund zur Freude hat er heute noch nicht gehabt. „Geärgert hab ich mich, dass der Fernseher 100 Euro teurer war als letzte Woche." – Den wollte er seiner Tochter schenken. „Und der hatte nicht einmal die DVBT-Antenne!"
Redet so ein Filigran-Geist? Ist das der Satire-Champion aus der Schwergewichts-Liga der „Neuen Frankfurter Schule". Hier regt sich einer auf wie ein Technik-Nerd auf Schnäppchen-Jagd. Ist das der Meister an der Seite der seligen F.K. Waechter, Chlodwig Poth oder Robert Gernhardt? Es ist nicht das letzte Mal, dass der Mann, der Helmut Kohl ein Blatt an den Schädel malte und so der Welt „Birne" schenkte, Klischees versenkt.
Wer leise ist, dem hört man besser zu
Die Vögel zwitschern durch die offene Balkontür im Frankfurter Nordend, ein verwachsenes Vierstockwerk-Häuschen von außen, eine Schatzkammer von innen. Das liegt an ihm, der hier wohnt, der am Donnerstag 80 wird, der mit seinem feinen Strich ein deutscher Chronist ist und der sich über anderthalb Stunden Zeit für die AZ nimmt.
Er ist der Künstler, der das kongeniale Bild schuf zu F. W. Bernsteins philosophischem Knaller: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche." Traxler malte fünf sinister grinsende Elche in Trenchcoats. Die ganze ehrenwerte Gesellschaft der Doppelmoral auf den Punkt gebracht: Das ist Können für Kenner.
Kohl gratulierte zum 70.
„Meine Zeit als Karikaturist ist vorbei", sagt er, höflich, bestimmt und immer wieder. „Ich lebe seit 63 Jahren vom Zeichnen, aber ich hatte nie die Ruhe, immer dasselbe zu machen." Er will nicht mehr lustig sein. Das ist verständlich, gleichwohl bedauerlich, verdankt das Publikum ihm doch Klassiker wie „das Alphabet der Künstlerlust" oder „Die Reise nach Jerusalem". Erstmals in den sechziger Jahren wird hier ein Papst, Paul VI. zur Witzfigur. Traxler malt Johann Wolfgang von Goethe beim Sex, oder „Hitlers Privatleben". Unerhört das, seinerzeit.
„Verhockt" nennt er die Adenauer-Jahre. „Die antiautoritäre Bewegung war zwangsläufig." Er half, mit „Pardon" das muffige Gebälk der Wirtschaftswunder-Jahre anzusägen. „Auflehnung gegen die angemaßten Autoritäten" war das. Erst recht ab 1979 bei „Titanic", noch heute das Flaggschiff deutscher Spottkunst. Auflehnung, das lag ihm schon immer. Sie hält jung, kein einziges graues Haar am weisen Haupt. „Heiner Geißler hat mich mal verklagt." Erfolglos. Und Kohl, dem er mit „Birne“ ein Denkmal setzte? „Der hat mir zum 70. gratuliert." Dass „Birne" mit den Texten von Pit Knorr 40 Auflagen hatte („es ist nicht mein bestes Buch"), das erfüllt den Künstler schon mit Stolz.
"Ich bin in kurzen Hosen in Bayern einmarschiert"
Und heute? „Heute male ich ohne Pointe." Aus den Landschaften, Kinderbüchern und unzähligen Literatur-Illustrationen spricht die zurückgenommene Heiterkeit, die sein Markenzeichen ist: „Wer will, dass man einem zuhört, der muss leise sprechen", sagt er. „Beim Zeichnen ist das auch so." 29 Bücher hat er veröffentlicht, von: „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“ (1963) bis „der Junge, der ein Murmeltier sein wollte“ (2009). Im Sommer kommen die beiden nächsten: „Ich arbeite jeden Tag, und vor eins gehe ich nie ins Bett.“
In die freie Kunst wollte er nie. Tabus gibt es auch da. „Wer es damals wagte, etwas Gegenständliches zu zeichnen, der hatte schon schlechte Karten." Damals: „Ich kam 1951 nach Frankfurt.“ Aus Regensburg, wohin es die Flüchtlingsfamilie aus dem Böhmischen verschlagen hatte. „Ich bin barfuß, mit kurzen Hosen in Bayern einmarschiert", erzählt er. Da blitzt die alte Lust, Ernstes locker zu formulieren. „Unglaubliche Solidarität gab es und Armut." Aber bitte: „Keine Alterslarmoyanz!"
Eine Posse über die Wirtschaftskrise mit Gesang für zwei Heuschrecken
Wird man milde mit dem Alter? In die Pause zwitschern die Vögel: „Mit dem Alter erträgt man die Boshaftigkeit der Welt nicht mehr so leicht." Es treibt ihn um, was Menschen Menschen antun: „Und Menschen den Tieren!" Altersgelassenheit ist nicht zwangsläufig.
Vergeht die Lust, die Leute zum lachen zu bringen? „Irgendwann waren alle Karikaturen gemacht", sagt Traxler und dann doch: „Man müsste ein Stück schreiben über die Krise! Eine Posse mit Gesang für zwei Heuschrecken."
Das klingt wie ein Exposé. Schreiben Sie doch das Stück, Herr Traxler! „Nein, dazu reicht die Kraft nicht mehr." Man ahnt in diesem Moment, wie schwer es ist, leicht zu sein. „Es wundert mich, dass die jungen Kollegen so wenig aus der Krise machen", sagt der Altmeister. Da gebe es Potential für Satire. Greser&Lenz als Alleinerben für politische Karikaturen, das ist ihm zuwenig. Aber nein, unzufrieden will er nicht sein.
Wir haben bei weitem keine Meinungsfreiheit
Dafür gibt es genug Dinge, die Traxler wirklich aufregen: „Wir sind weit entfernt von Meinungsfreiheit. Ein falsches Wort, und sie sind geächtet." Er denkt an die dänischen Karikaturisten mit ihren Mohammed-Karikaturen. Harmlos seien die gewesen, und keiner hat sie unterstützt." Ungerechtigkeit, sagt er, „damit kann ich ganz schwer umgehen". Über die katholische Kirche kann man sich ungestraft auslassen. „Aber versuchen Sie mal, einen Witz über den Islam zu machen – ausgeschlossen!“ Man sollte sowas sagen dürfen, findet Hans Traxler. So wie man sich über die landläufige Vorstellung vom Paradies beschweren darf. Wo bei Traxler die Verwaltung eine Kirmes gegen die Langeweile auflegt, und wo es „Heute Gyros" gibt.
Das wahre Paradies, wie sieht es für ihn aus? „So wie hier", sagt Traxler mit Blick auf alten Baumbestand. „Oder nein, warten Sie." Seit Jahren ist er befreundet mit den Well-Brüdern der Biermösl Blosn. Mit seiner Frau Inge verbringt er seine Sommer am Ammersee: „Das ist schon Nahe am Ideal, und das sage ich nicht, weil Sie von der AZ sind." Traxler sagt: „Also schreiben Sie: Das Paradies ist ein Biergarten am Wörthsee."
168 Werke von Hans Traxler sind noch bis 26. Juli im Museum für Komische Kunst, Weckmarkt 17, in 60311 Frankfurt zu sehen. Der vorzügliche Katalog ist bei Reclam erschienen und kostet 20 Euro.
Matthias Maus
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