Das neue Buch "Die Briefe der Manns. Ein Familienporträt"

Die Manns – Neuigkeiten aus dem Briefkasten
Dirk Heisserer |
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James Abbe: Katia und Thomas Mann, Paris, 1926.
Verlag Königshausen & Neumann James Abbe: Katia und Thomas Mann, Paris, 1926.

Die Aufregung war groß, als vor drei Jahren im Thomas-Mann-Archiv in Zürich unvermutet 3000 übersehene Briefe von und an Katia Mann gefunden wurden. Der Fund hatte ungeahnte Folgen. Tilmann Lahme nutzte diese neue Quelle zunächst für seine erfolgreiche Biographie der Familie Mann (vgl. AZ vom 30.9.2015), stand dann aber vor einem echten Problem. Ganz ähnlich wie bei seiner Golo-Mann-Biographie (2009), der ein Briefband voraus ging, sollte jetzt der Familienbiographie eine Briefsammlung folgen.

Der Zürcher Briefsegen warf aber alle Planungen über den Haufen. Mit zwei weiteren Herausgebern wurden schließlich alle erreichbaren Archive mit Briefen der Familie Mann, vor allem in der hiesigen Stadtbibliothek (Monacensia), durchforscht und ein Bestand von rund 2000 Schreiben ermittelt. Für den Druck wurden 200 ausgewählt, davon 139 ungedruckt, und alle kundig kommentiert.

Einiges wirkt bekannt, einmal mehr erweist sich Katia Mann, die einzige nicht-öffentliche Autorin der Literaten-Familie, als deren kommunikatives Zentrum. In Zürich kamen auch 16 neue Briefe Katia Manns an ihren Gatten zum Vorschein, die soeben in der Neuausgabe der sogenannten „Rehherz“-Briefe, herausgegeben von Inge Jens und Dirk Heißerer, innerhalb der Thomas-Mann-Schriftenreihe des Thomas-Mann-Forums München erschienen sind (Fundstücke, Band 4, Königshausen & Neumann).

Bekannte Briefe lesen sich neu, neue Briefe wie vertraut

Das Wagnis einer Familienbiographie in Briefen ist groß, doch der Zwang zur strengen Auswahl, orientiert an fünf Phasen der Zeit- und Familiengeschichte zwischen 1919 und 1981, hat auch sein Gutes. Bekannte Briefe lesen sich neu, neue Briefe wie vertraut. Dass Thomas Mann 1926 nach über 20 Jahren angeblicher Demütigung durch seine Schwiegereltern einen schrecklichen Wutanfall bekam, lässt tief blicken. Oft stellt sich aber auch das Gefühl einer Indiskretion ein, wie wenn man laute Stimmen aus der Nachbarschaft hört, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind, und sich zugleich darüber ärgert, wenn man nicht alles so recht versteht.

Die sechs Kinder verwandeln sich zu literarischen Figuren: die umsichtige Erika, der drogenabhängige Klaus, der geheimrätliche Golo, die schrullige Monika, die hochbegabte Elisabeth und der altkluge Michael, und alle brauchen Geld. Beinahe könnte man vergessen, dass es sich um die Familie Thomas Manns handelt, dessen einfühlsame, witzige Briefe den zweifelhaften Ruf, er sei ein schlechter Vater, glänzend widerlegen. Dem Sohn und Schriftstellerkollegen Klaus gegenüber beurteilt er den Mephisto-Roman sachlich richtig als Modell einer „Teufelsverschreibung“, wie er sie selbst mit dem „Doktor Faustus“ vornehmen sollte. Thomas Mann bewahrt auch nach der größten Krise der Familie, hervorgerufen durch sein Schweigen gegenüber dem NS-Unheil in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1936, in seinen Briefen den alten gelösten Ton und übt ab 1940, von Erika und Golo unterstützt, wirkungsvolle Gegenpropaganda aus dem amerikanischen Exil.

Klatsch nur in Maßen

Man kommt gut mit, Auswahl und Kommentar sind ausgewogen, Gossip gibt es nur in Maßen und bleibt dann wohltuend unverständlich. Lose Fäden werden neu verknüpft, bilden neue Zusammenhänge, und man merkt kaum, dass das dicke Buch plötzlich zu Ende ist. Das ist sein einziger ‚Mangel‘ – wie gut wäre es, von den besonders aufschlussreichen Briefen Katia Manns, besonders an Erika, aber auch an Klaus, eine vollständige Edition zu erhalten. Doch die Nebenstimmen, die dabei wegfallen würden, die überhaupt so lange verschollen waren, hier klingen sie auf, banal und bewegend, schrill und begütigend, als einzigartiges Porträt einer Familie und ihrer Zeit.

"Die Briefe der Manns. Ein Familienporträt". Herausgegeben von Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein. S. Fischer, 720 S., 24,99 Euro

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