Kritik

Das Musical "Ku'damm 56" im Deutschen Theater

Annette Hess hat aus ihrem Drehbuch des TV-Dreiteilers "Ku'damm 56" ein Libretto für ein Musical destilliert. Die Musiker von Rosenstolz haben komponiert
von  Mathias Hejny
Konservative Doppelmoral: Die drei Schwestern (v. li.) Isabel Waltsgott, Pamina Lenn, Sandra Leitner leiden unter ihrer Mutter (Katja Uhlig) und am frauenfeindlichen, prüden Zeitgeist.
Konservative Doppelmoral: Die drei Schwestern (v. li.) Isabel Waltsgott, Pamina Lenn, Sandra Leitner leiden unter ihrer Mutter (Katja Uhlig) und am frauenfeindlichen, prüden Zeitgeist. © Jörn Hartmann

Trotzig und kraftvoll stampft sich das Ensemble durch die energiesatte Eröffnungsnummer "Monika - sie ist unmöglich", die unmittelbar das Publikum soghaft mitnimmt. Monika ist ein bisschen quer in ihr enges Leben gebaut. Kochen und Kochwäsche gehören nicht zu ihren Kernkompetenzen, weshalb sie aus der Haushaltsschule gefeuert wurde. Doch am Ende wird aus dem verdrucksten hässlichen Entlein ein selbstbewusst in die Zukunft schauender Schwan.

Annette Hess hat aus ihrem Drehbuch des TV-Dreiteilers "Ku'damm 56", der dem ZDF jedesmal rund sechs Millionen Zuschauer bescherte und mit "Ku'damm 59" eine Fortsetzung fand, ein Libretto für ein Musical destilliert, das vor zwei Jahren im Berliner Theater des Westens uraufgeführt wurde - und dort satte 15 Monate lang lief. Jetzt beginnt die Tournee im Deutschen Theater.

Das Businessmodell eines Benimm-Ladens

Die Dialoge verblüffen immer wieder mit der Präzision, mit der sie bei fast minimalistischem Aufwand mitten in den Zeitgeist der frühen Bonner Republik landet. Wenn Monikas jüngste Schwester Eva (Isabel Waltsgott) in der Zeitung von der Hochzeit Marylin Monroes ausgerechnet mit einem Schriftsteller liest, stellt sie enttäuscht fest, dass der Hollywood-Star doch jeden hätte haben können, "auch einen richtigen Mann". Evas Mutter Caterina (Katja Uhlig) merkt indigniert an, dass das Trennen und die ganze "Heiraterei" in Mode zu sein scheint. Der Chefin einer renommierten Berliner Tanzschule sind Anstand und das, was die Leute über sie und ihre Töchter sagen, sowohl zentraler Lebensinhalt als auch Business-Modell ihres um Benimm in allen Lebenslagen bemühten Familienunternehmens.

Frauen haben kein sexuelles Bedürfnis

In der Epoche des Wirtschaftswunders wusste man noch, was ein "richtiger Mann" ist und auch, was den Damen ziemt. Mütter konnten Töchtern auf die Frage, was denn nun mit ihren eigenen Bedürfnissen sei, antworten: "Frauen haben so etwas nicht".

"Ku'damm 56" ist auch feministische Propaganda im besten Sinne und im poppigen Sound, der die notwendige Frage aufwirft, wie weit wir in den letzten siebzig Jahren mit der Gleichstellung der Geschlechter gekommen sind. In den Kulturkämpfen von Walzer gegen Rock'n'Roll, von Mutters "Mumienpalast" gegen Monikas "Dschungelmusik" entfaltet sich die deutsche Nachkriegsgeschichte in Tränen auf den Trümmern ihrer jüngsten Vergangenheit: Kriegerwitwen, Heimgekehrte, Nazis, Kommunisten, Wiederbewaffnung, Homosexualität als kriminelle Krankheit oder Gewalt gegen Frauen, um nur wenige Themen der Show zu nennen.

Kein nostalgisches Flair, sondern Ernsthaftigkeit

Es ist ein verwegener, aber auch aufregender Plan, einem Musical über die Fifties jedes nostalgische Flair auszutreiben. Das Ambiente eines alten Ballhauses ist ruinös (Ausstattung: Andrew D. Edwards). Nur, wenn die "Halbstarken" im Jazzkeller Mutter Krause abtanzen, senkt sich eine Decke herunter, die schon die neue Zeit beschwört und an eine Siebziger-Jahre-Disco erinnert.

Regisseur Christoph Drewitz macht zwar mit vielen auch parallel verlaufenden Mikroszenen Tempo, aber das flotte Erzählen hilft nicht gegen die kaum bewältigte Fülle an Handlungssträngen und Konflikten.

Peter Plate und Ulf Leo Sommer haben Spitzenmusik geschaffen

In seinem Anspruch, gründlich zu sein, nichts auszulassen und auf jeden Fall nichts falsch zu machen, ist der Plot sehr deutsch. Umso mehr überzeugen die Songs von Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Ihre Rosenstolz-Phase klingt oft durch und der Gesang ist mitunter grandios. Auch schauspielerisch ist vor allem das so schwierige Liebespaar angenehm auffällig: David Jakobs als der "Gitarren-Hallodri" Freddy und Sandra Leitner als die unmögliche Monika.

Deutsches Theater, bis 17. Dezember, dienstags bis samstags 19.30 Uhr, samstags auch 15 Uhr, sonntags 14.30 und 19 Uhr, Telefon 55234444

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