Kritik

"Lied von der Erde" im Kleinformat

Mahlers Symphonie für Singstimmen mit Piotr Beczala, Christian Gerhaher und Gerold Huber
von  Michael Bastian Weiß
Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber (rechts).
Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber (rechts). © Gregor Hohenberg

Zwei Sänger, Piotr Beczala und Christian Gerhaher, verbreiten hier Wohllaut ohnegleichen. Doch soll der rezensierende Scheinwerfer zunächst auf den Pianisten Gerold Huber gerichtet werden. Mit zwei Händen allein macht er vergessen, dass die Orchesterfassung von Gustav Mahlers "Lied von der Erde" dreifaches Holz, einen symphonischen Streicherkörper und ein Arsenal an Schlag- und Sonderinstrumenten verlangt.

Dabei lässt Huber in der selten gespielten Version für Klavier die komplexe Mehrstimmigkeit des Werkes plastischer hervortreten, als dies in vielen Aufführungen mit Orchester gelingt.

Mit einer enormen Virtuosität, die der gebürtige Niederbayer im herkömmlichen Liederabend kaum einmal ausleben kann, entwirft er gewissermaßen als Ein-Mann-Orchester eine ganz eigene Welt, die vollkommen für sich stehen kann. Darin liegt der Wert dieser weniger reduzierten als vielmehr auf das Wesentliche konzentrierten Version: Die sechs Sätze des Lied-Symphonie-Zwitters können, ohne, dass eben komponierte Struktur verloren gehen würde, mit der Intimität gesungen werden, die so nur im Klavierlied möglich ist.

Faszinierend ist zu verfolgen, wie unterschiedlich die beiden Sängerpersönlichkeiten mit diesen ungewohnten Möglichkeiten umgehen. Im einleitenden "Trinklied vom Jammer der Erde" hat der Tenor hier die seltene Chance, ohne verzweifeltes Forcieren durchzudringen. Piotr Beczala schenkt sich trotzdem nichts und lässt die Spitzentöne mit unnachgiebiger Intensität erschallen, wodurch die Stelle mit der "wildgespenstischen Gestalt", die im "Mondschein auf den Gräbern" hockt, beim Hören Schauder über den Rücken treibt: "Ein Aff´ ist's!"

Dass man dieses unheimliche Bild auch sprachlich gut verstehen kann, ist ein weiterer Vorzug dieser besonderen Produktion. Auch klangtechnisch kann man in Nahaufnahme verfolgen, in welcher himmlischen Harmonie Christian Gerhaher in den Bariton-Gesängen die Musik aus der Sprache schöpft und wieder in reine Musik zurückverwandelt, etwa beim konsonantenreich rasenden Rösserritt in "Von der Schönheit", der hier einmal nicht ins Straucheln gerät.

Und wie die beiden Straubinger Gerhaher und Huber den "Abschied" gewissermaßen zum unendlichen Lied machen, ohne Sentimentalität, aber mit zärtlichstem Gefühl, das ist schlichtweg größte Gestaltungskunst, deren Dokumentation nur zu begrüßen ist.

Vielleicht wusste nicht einmal der Komponist selbst, wie sehr das "Lied von der Erde" tatsächlich - Liedgut ist. Für manchen Mahler-Liebhaber könnte dieses Album gleichberechtigt an die Seite der jeweiligen Lieblingsversion der Orchesterfassung treten - wenn sie diese nicht gar ersetzt.

Gustav Mahler: Das Lied von der Erde (Klavierfassung); Piotr Beczala, Tenor; Christian Gerhaher, Bariton; Gerold Huber, Klavier (Sony)

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