Das letzte Buch über Fidel Castro
Carlos Widmann, Auslandsreporter von "SZ" und "Spiegel" verabschiedet in seinem neuen Buch die Utopie vom Sozialismus unter Palmen
Fidel Castros letzte Stunde“ liegt auch schon wieder zwanzig Jahre zurück. Pulitzer-Preisträger Andrés Oppenheimer hatte seine Castro-Biografie 1992 so genannt. Damals war mit dem Umbruch in der Sowjetunion der wichtigste Handelspartner Havannas quasi über Nacht weggebrochen. Niemand zweifelte daran, dass die Stunden Castros auf seiner maroden Insel gezählt waren.
Aber erst 16 Jahre später machte der heute 86-Jährige seinen vier Jahre jüngeren Bruder Raúl zum Nachfolger - aus rein gesundheitlichen Gründen. Elf US-Präsidenten hatte er bis dahin „überstanden“, fast alle wollten ihn hinwegfegen. Der Mann, dessen Ego immer viel zu groß für die karibische Insel war, ist eine Figur von romanhafter Übertreibung und gehört zu den meistbeschriebenen des 20. Jahrhunderts.
Wenn die Reporterlegende Carlos Widmann („Süddeutsche Zeitung“, „Spiegel“) sein neues Buch nun „Das letzte Buch über Fidel Castro nennt“, so ist das ironisch gemeint. Denn ein Ozean an Schriften wird noch folgen. Das weiß niemand besser als der 1938 in Buenos Aires geborene Journalisten, der sich selbst Jahrzehnte an Castro abarbeitete - und ihm wie so viele kurzzeitig verfiel: „War es die schäumende Brandung am Malecón von Havanna, der Hüftschwung der Mulatinnen, die hochprozentigen Rumgetränke ... Vieles erklärt, nichts entschuldigt einem Reporter die Beurlaubung seiner kritischen Fähigkeiten“, rügt Widmann sich heute für eine 1969 getätigte Beurteilung: Damals hatte er in der „SZ“ Castros berühmte Verteidigungsrede nach dem gescheiterten Überfall auf die Moncada-Kaserne 1953 („Die Geschichte wird mich freisprechen“) als „eine der größten rhetorischen Leistungen spanischer Sprache im 20. Jahrhundert“ bezeichnet.
Nun, damals trug die studentische Jugend Ché-Shirts und selbst „Dr. phil. Hans Magnus Enzensberger“ schlug für die mythisch aufgeladene (und nie erreichte) Rekordernte das Zuckerrohr – zwar schlechter als die kubanischen „Helden der Arbeit“ aber immer noch effektiver als der Reporter selbst.
Es sind die vielen direkten Einblicke, die Widmanns sarkastisch funkelnde Abrechnung mit dem Castro-System von vielen anderen Biografien unterscheiden. Längst nicht alle Linksintellektuelle sind bis heute bereit, sich vom am venezolanischen Öltropf hängenden sozialistischen Utopia zu verabschieden. Vor drei Jahren etwa goss Attac-Ehrenpräsident Ignacio Ramonet seine 100-stündige Audienz bei Castro in das bemerkenswert unkritische und devote Buch „Fidel Castro – Mein Leben“.
Und natürlich passt auch zwischen Gabriel García Márquez und sein politisches Idol kein Blatt. Widmann spekuliert allerdings auf ein in „Gabos“ Schreibtisch schlummerndes Kubabuch, das erst das Licht der Welt erblicken wird, wenn einer der beiden Greise darin nicht mehr weilt. Einstweilen hat Raúl Castro die Führung in der Hand. Dieser ist laut Widmann der beste Whiskey-Kenner auf der Insel, wurde aber vom einstigen DDR-Spionagechef Markus Wolf als der einzige pünktliche Kubaner aus der Führungsspitze, der „Preuße von Havanna“, bezeichnet.
Fidel Castro aber bleibt im Mekka des Revolutionstourismus die Rolle als „grimmiger Museumswächter, der für die fotogene Exotik des Verfalls und seine gescheiterte Revolution Eintrittsgeld verlangt“.
Carlos Widmann: "Das letzte Buch über Fidel Castro“ (Hanser, 336 Seiten, 19.90 Euro)
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