Das Leben so traurig, so schön, so befreiend
Was macht einen Film besonders, vor allem einen amerikanischen? Wenn er Erwartungen, auf die uns Hollywood seit Jahrzehnten eicht, unterläuft!
Eine schöne Frau im rasenden Speedboot lacht uns aufgedreht an. Gischt benetzt sie. Aber schon in diesen ersten Hawaii-Freizeit-Bildern schlagen die Wellen seltsam überakustisch hart gegen die Bordwand. Dann Knall, Unfall, Koma. Und George Clooney wird als Ehemann plötzlich in die Verantwortung gestoßen, die er zuvor lässig abgetan hat. Am Krankenbett, neben der reglosen Frau, fällt ihm auf: „Wir haben seit drei Tagen nicht mehr gesprochen.” Und nach einer kurzen Pause: „Eigentlich schon seit Monaten nicht wirklich.” So wird es immer klarer, dass sich hier keine Strahle-Familie gegen Tod oder Feinde verteidigt, sondern der Film ins Innere einer fehlbaren Familie schaut, in der die 17-jährige Tochter ins Internat abgeschoben kontrolllos pubertiert, die kleinere erziehungslos kindlich Grenzen überdehnt und die Ehe schon uneingestanden lange nur noch Fassade war.
Regisseur Alexander Payne ist ein Meister packender psychologischer Tiefe, weil bei ihm keines der großen Gefühle in Hollywood-Reinform vorkommt. In „The Descendants” mischt sich immer anderes hinein – wie im richtigen Leben. Wenn Clooney in der überfordernden Trauerphase erfährt, dass seine Ehe noch kaputter war als er sich es zurechtgedacht hatte, bekommt er einen Wutausbruch, der aber halb nach innen gerichtet ist. Die Wut über den Betrug seiner Frau ist nur so groß, weil in ihr auch die Wut über eigenes Versagen steckt, und die Schwierigkeit, für die Trauer eine Form zu finden. Diese Vielschichtigkeit ist das große, ernste Schauspieltalent Clooneys, der dafür zurecht eine Oscarnominierung erhielt.
Payne hat einen für uns Europäer so wunderbar klaren Blick auf die amerikanische Gesellschaft. Ihm gelingt es sogar in der wortlosen Szene einer Familienversammlung in einem Garten, in der es um die Frage Geld oder Tradition geht, den Zuschauer instinktiv erfassen zu lassen, wie Familieneifersüchteleien, Gier und Neid funktionieren. Das ist Filmkunst.
Beim Sterben niemanden alleine und keine Rechnungen offen lassen oder für die Familie Verantwortung zu übernehmen: Das sind banale Einsichten und doch so schwer. Bei Payne werden sie so klug und differenziert geschildert, dass man gebannt lacht und weint in einem Film, der die ganze starke Hollywood-Gefühlsüberwältigungskraft völlig unkitschig einsetzt.
Kino: Cadillac, Gloria, Solln, CinemaxX, Münchner Freiheit sowie Atlantis (OmU)
R: Alexander Payne (USA, 110 Min.)