Das Leben ist schön, ich kann es sehen!

Poesie, Südamerika, Garagenrock und sauberer Deutsch-Pop: Erdmöbel im Backstage
von  Michael Stadler

Stell dir vor, eine von Deutschlands besten Bands tritt auf und keiner geht hin. Leer war es zwar nicht in der Backstage-Halle. Aber viel mehr als 150 Dreißig- und Vierzigjährige hatten sich für den „Retrospektive”-Auftritt von Erdmöbel nicht eingefunden. Der BR nahm das Konzert auf – und veranstaltete gleichzeitig sein on3-Festival, was viele Leute in die BR-Studios abzog, während sich an der Reitknechtstraße mehr heimeliger Spielraum für einen Abend voller Glücksmomente ergab.

Auf 17 Jahre Bandgeschichte und acht Alben blicken die Westfalen zurück. Ihre Auslese bewegt sich locker zwischen launigen Garagenrock-Anmutungen, den besonders auf dem Album „Krokus” (2010) bevorzugt ins Südamerikanische abdriftenden Rhythmen und potzblitzblankem Deutsch-Pop, der immer die Kurve zur sachlichen Poesie kriegt, allein schon, weil Markus Berges mit seiner Stimme jede Zeile kehlig erdet. Rein optisch vermitteln Erdmöbel ein Lebensgefühl souveräner Über-40-Entspanntheit: Berges’ kantige Brille, der graue Opa-Hut von Bassist Ekki Maas, all die Retro-Klamotten für das charmante Tanzkapellen-Flair.

Die Sing-Alongs liefen an disem Abend wie geschmiert: Beim „Lied über gar nichts” oder bei der Burt-Bacharach-Verdeutschung „Nah bei dir” wollte das Publikum gar nicht mehr mit dem Singen aufhören. Immer wieder die unwiderstehlichen Bassläufe von Ekki Maas, der knackige Schlagzeug-Drive von Christian Wübben, die wärmenden Posaunen-Einlagen von Zusatz-Musiker Henning Beckmann, die E-Piano-Akzente von Wolfgang Proppe, der bei „Der Blaue Himmel” allein eine dieser Erdmöbel-Hooklines auswarf, an denen man nur hängen bleiben kann.
Ihre elektronischen Spielchen ließen Erdmöbel dieses Mal sein. Dafür zündeten sie mit ihren schön arrangierten Liedern die Wunderkerzen in den Herzen an und fegten auch mal die Melancholie beiseite. „Ich kann eure Tränen nicht verstehen”, sang Berges. „Das Leben ist schön. Ich kann es sehen, ich kann es sehen!” Und, ach, man sah es auch.

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