Das Leben als Abenteuer
Es ist die wahre Geschichte eines verlorenen Sohnes. Sean Penn hat daraus einen nur scheinbar unpolitischen Film gemacht. Der US-Regisseur über seinen Aussteiger-Film »Into the Wild«.
In den letzten Jahren hat sich der amerikanische Schauspieler Sean Penn (Oscar für seine Rolle in „Mystic River“ von Clint Eastwood) immer stärker dem Regiefach zugewandt. 2001 kam seine außergewöhnliche Dürrenmatt-Verfilmung „Das Versprechen“ mit Jack Nicholson in die Kinos. Nun hat Penn, der sich in Hollywood als vehementer Gegner der Regierung Bush und des Irak-Krieges exponiert hat, einen scheinbar unpolitischen Film gedreht.
„Into the Wild“ (ab Donnerstag im Kino) erzählt nach dem gleichnamigen Roman-Bestseller von Jon Krakauer die reale Geschichte des Studenten Christopher McCandless (Emile Hirsch), der sein Studium und den Kontakt zur Familie abbricht, durch die Staaten trampt und sich zur radikalen Selbsterfahrung in die Wildnis Alaskas zurückzieht, wo er Monate später im Jahr 1992 von Elchjägern tot aufgefunden wurde.
AZ: Mister Penn, was hat Sie an der realen Geschichte von McCandless, der der westlichen Zivilisation so radikal den Rücken zukehrt, fasziniert?
SEAN PENN: In einer Welt, die immer komfortsüchtiger wird, wächst das Bedürfnis nach elementaren persönlichen Herausforderungen. In der Natur zu verschwinden, Lebenslügen über Bord zu werfen und sich von der Wahrhaftigkeit der Natur überwältigen zu lassen – das ist eine verführerische Vorstellung. Besonders, wenn man jung ist und herausfinden will, worauf es wirklich ankommt im Leben.
Wann haben Sie zuletzt diese Sehnsucht verspürt?
Das tue ich fast jeden Tag. Auf meine Art habe ich ganz andere Herausforderungen ausprobiert, aber nie in dieser totalen Konsequenz wie Chris. Ich möchte auch niemanden zu einem so gefährlichen Abenteuer ermutigen. Aber sich selbst und sein Leben einmal in dieser elementaren Gesamtheit zu spüren – das kann eine sehr gesunde Erfahrung sein.
Warum hat die Familie von Chris gerade Ihnen den Zuschlag für die Verfilmung gegeben?
Ich habe nie nachgefragt, sondern ihre Entscheidung einfach akzeptiert. Vielleicht habe ich gerade davon profitiert, dass ich der Familie nicht so hohe Summen anbieten konnte wie meine Konkurrenten. Ich bin davon ausgegangen, dass Geld nicht der wichtigste Faktor für die Entscheidung der Familie ist. Schließlich ist dies die Geschichte ihres verlorenen Sohnes. Ich habe der Familie eine klare Vorstellung von dem Film, den ich im Kopf hatte, vermittelt, und die scheint sie überzeugt zu haben.
Wie hat die Familie reagiert, als sie den Film gesehen hat?
Ich verstehe das Interesse an dieser Frage, aber das ist ein sehr privater Moment gewesen und es ist nicht an mir, darüber zu berichten.
Glauben Sie, diese tiefe Sehnsucht von Chris nach Wahrhaftigkeit war durch seine privilegierte Herkunft aus der US-Mittelklasse bestimmt?
Die eigene Persönlichkeit ist hier wichtiger als die soziale Herkunft. Sicher wäre es für einen jungen Mann schwarzer Hautfarbe schwieriger gewesen, sich derart frei durch das Land zu bewegen. Aber jeder weiße Junge in den USA, egal aus welchem sozialen Hintergrund er stammt, wäre zu diesem Abenteuer fähig. Es gibt ja nicht nur die materielle Armut, vor der man versucht zu flüchten.
War es bei Chris die emotionalen Verarmung in seiner Familie?
Die Flucht vor gesellschaftlicher und familiärer Dysfunktionalität war nur ein kleiner Teil seiner Motivation. Wichtiger war für ihn die Suche nach der persönlichen Authentizität und nach einem wahrhaftigen Ort, wo sich diese entfalten kann.
Auf gewisse Weise wirkt „Into the Wilde“ aber auch wie ein Liebesgeständnis an die USA, das man dem politischen Aktivisten Sean Penn nicht zugetraut hätte.
Ich hatte nie ein Problem mit meinem Land und mich nur ein wenig über die Staatsfeinde aufgeregt, die die Macht im Weißen Haus übernommen haben und über die allgemeine Akzeptanz dieser Übernahme. Aber das ist eine andere Geschichte. Für mich ist Amerika ein großartiges Land mit seinen Landschaften und großartigen Menschen. Ich liebe dieses Land, das zeigt der Film wie kein anderer.
Viele haben bei Ihrem politischen Engagement einen Film mit einem entsprechenden Statement erwartet.
„Into the Wilde“ ist ein politischer Film, denn hier wird über die grundlegende Qualität unseres Lebens nachgedacht – und diese Qualität wird entscheidend von der Politik bestimmt.
Betrachten Sie den Film als einen Angriff auf das Establishment?
Chris’ Vater hat mir gesagt: „Chris wollte das Haus nicht niederbrennen. Er hat es einfach nur verlassen.“ Ich glaube, wenn wir alle unser Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten würden, käme das Establishment in große Schwierigkeiten.
Martin Schwickert