Das ist Pop: Morrissey in der Tonhalle

Morrissey reißt das Mikrophon in die Höhe. Und für einen Moment bleibt die Kabelschlaufe schwerelose in der Luft stehen. Auf seiner Tour zum aktuellen Album „Years Of Refusal“ machten der englische Sänger und seine fünfköpfige Band Station in der Tonhalle.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Morrissey reißt das Mikrophon in die Höhe. Und für einen Moment bleibt die Kabelschlaufe schwerelose in der Luft stehen. Auf seiner Tour zum aktuellen Album „Years Of Refusal“ machten der englische Sänger und seine fünfköpfige Band Station in der Tonhalle.

In der lustvollen Art der Performer und der Begeisterung des Publikums zeigt sich die Qualität des neuen Werkes. Die fiese Ironie von „One Day Goodbye Will Be Farewell“, der überdramatische Gestus des stierkämpferischen „When Last I Spoke To Carol“, von Morrissey mit den Worten „this is opera“ eingeleitet. „Every song a massive hit“, findet der Sänger ironisch, aber völlig zu Recht. „I’m Trowing My Arms Around Paris“ – Morrissey hat das raumfüllende Timbre, das jede Emotion an sich zieht, um sie dann mit der Geste des großen Entertainers an sich abgleiten zu lassen. Das ist Pop.

Der wohl größte Hit des Abends, das heftige „Irish Blood, English Heart“, ist auch live ein weit ausholender Tritt in den Arsch der Nationalisten, die sich immer noch zwischen Tories und Labour bewegen und Oliver Cromwell verehren. Natürlich sind auch ausgewählte Preziosen der Smiths-Tage mit auf der Bühne. „Cemetry Gates“ hat immer noch die flockige Bitterkeit des jungen Mannes. In „Ask“ erinnert sich der reife Sänger an die quälend schöne Schüchternheit, die die Jugend zur Vorhölle unerfüllter Wünsche macht.

Die Band-Boys sind in Schwarz gekleidet. Vor ihrem Hintergrund zeigt Morrissey, wie man ein dunkelblaues, später hellblaues Hemd richtig trägt. Eng anliegend, mit hohem Kragen, aufgeknöpft bis weit über die Brust – ein Working-class-Dandy.

Am Ende der einzigen Zugabe „Something Is Squeezing My Skull“ reißt sich Morrissey sein Hemd vom Körper, verbeugt sich mit demütiger Grazie und wirft es als letzten Gruß ins Publikum. Es gibt kaum einen, dem das Spiel des Begehrens, das sich niemals eindeutig für ein Geschlecht entscheidet und sich als Mysterium manifestiert, so leicht und sexy gelingt.

Christian Jooß

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