Das Haus der Kirche brennt
Wenn Hass töten könnte, wäre Papst Franziskus längst tot. Denn mit welch übermächtigen Potentaten und Institutionen hat sich Jorge Mario Bergoglio nicht alles schon angelegt,: mit dem Kartell der Erdölkonzerne und der Lobby der Waffenindustrie, mit den Hasardeuren der neokapitalistischen Finanzströme und den Demagogen der politischen Rechten, mit US-Präsident Donald Trump und dem ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini. Sogar die Vertreter der Kommandozentrale des Vatikans, die hochehrwürdigen Purpurträger der Kurie, hat Franziskus frontal attackiert, um ihnen Machtgier, Karrierismus und ein Doppelleben vorzuwerfen.
Dass dies eine Welle aus Bitterkeit, Aggression und Feindseligkeit erzeugen würde, war abzusehen, und das Image von Franziskus, den seine Gegner als „Kommunisten“ beschimpfen, hat darunter entsprechend gelitten. Tatsächlich war „kein Papst der modernen Zeit je so verhasst wie Franziskus“, bilanziert der Bestsellerautor und Vatikanexperte Marco Politi in seinem neuen Buch, das der Einsamkeit des Papstes bei seinem Kampf um die Reformierung der Kirche gewidmet ist. Doch dass dieser Hass zu einer Verschwörung in den eigenen Reihen, einem hinterhältigen „Franziskus-Komplott“ – so der vielsagende Titel von Politis Buch – umschlagen würde, war in dieser Form nicht vorhersehbar.
Franziskus möchte den Zentralismus des Papsttums abschaffen
Doch woher rührt diese Intrige? Anhand zahlreicher Beispiele und Fakten legt der Vatikan-Insider Politi dar, wie Franziskus die katholische Kirche von Grund auf erneuern möchte, aber permanent auf den Widerstand fundamentalistischer Hardliner in der Kirchenspitze stößt. Seine Ziele sind so einleuchtend wie notwendig: Er möchte den „absolutistischen Zentralismus“ des Papsttums abschaffen und die kalte kirchliche Bürokratie in eine „warmherzige Beteiligungskirche“ umwandeln. Er möchte hohe kirchliche Ämter für Frauen öffnen, verheiratete Kleriker als Priester zulassen und wiederverheirateten Geschiedenen den Zugang zur Kommunion ermöglichen. Er möchte die in der katholischen Kirche grassierenden Krankheiten entfernen und sowohl den mafiosen Sumpf der Vatikanbank austrocknen als auch die infame Seuche der Pädophilie ausmerzen. Er möchte im Sinne der Enzyklika „Laudato si’“ das Bewusstsein der Christen für unseren Planeten schärfen und Gottes Schöpfung für die kommenden Generationen erhalten. Und da er als ehemaliger Erzbischof von Buenos Aires um die Sorgen und Nöte der einfachen Leute von der Straße weiß, möchte er die Ausbeutung der Armen, Obdachlosen und Migranten verhindern und für menschenwürdige Lebensverhältnisse für die Menschen von unten sorgen.
Doch wie seine Initiativen und Reformen von seiner eigenen Entourage ausgebremst und boykottiert werden, zeigt sich schon bei einer so simplen Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion gehen dürfen. Um Humanität walten zu lassen und die Unerbittlichkeit der offiziellen vatikanischen Lehre abzufedern, hat Franziskus durch eine winzige Fußnote (Nr. 351) in seinem nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ der Gruppe der wiederverheirateten Geschiedenen signalisiert, dass sie nicht für immer vom Kommunionsempfang ausgeschlossen sind.
Dieses Signal, das als Akt der Barmherzigkeit gedacht war, wurde – wie Politi nachzeichnet – vom „Anti-Bergoglio-Block“ um die Kardinäle Caffara, Burke, Brandmüller und Meisner (†) als „Kriegserklärung“ aufgefasst: In einem offenen Brief wenden sie sich im November 2016 an den Papst und melden theologische Zweifel an dieser Öffnung an. Doch damit nicht genug. Einige Wochen später erscheint eine Petition, in der zahlreiche Persönlichkeiten Franziskus „eine brüderliche Zurechtweisung“ wegen Häresie zukommen lassen, weil „Eure Heiligkeit“ durch „Worte, Taten und Unterlassungen und durch Stellen im Dokument Amoris laetitia (…) falsche und häretische Thesen unterstützt“ hat.
Hinter der Denunziation steckt System
Diese ungeheuerliche Unterstellung, die einen Papst des Irrglaubens bezichtigt, wird in der Folgezeit von den Feinden Bergoglios immer wieder ins Feld geführt: etwa bei der Amazonas-Synode im Oktober 2019, als auf Veranlassung von Franziskus von einem Großteil der Bischöfe entschieden wird, verheiratete Kleriker als Priester einzusetzen und das Amt der „Gemeindeleiterin“ für Frauen einzuführen. Sofort brachten Franziskus-Gegner wie die Kardinäle Brandmüller oder Burke den Häresie-Vorwurf ins Spiel. Hinter diesem „Sperrfeuer“ der Denunziation steckt, wie Politi glaubt, System: „In der zweiten Hälfte des Franziskus-Pontifikats scheint es völlig normal geworden zu sein, dass Kardinäle oder Theologen den Papst öffentlich der Häresie beschuldigen und kein Hahn danach kräht.“
Was ist der Zweck dieser Kampagne? Politi lässt keinen Zweifel daran: den Papst zu delegimitieren, um seinen Reformkurs zu blockieren. Die Taktik dahinter ist klar: Erst soll Franziskus durch eine Delegimitierungskampagne ins Abseits gedrängt werden, dann ihm wohlgesonnenen Kardinäle ausgeschaltet und schließlich bei der nächsten Papstwahl ein Kandidat aufgestellt werden, der „kein Franziskus II.“ ist. Ein abgekartetes Spiel, um das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Franziskus weiß um die Niedertracht, seiner Feinde. „Es gibt eine Gruppe von Priestern“, sagt er, „die für meinen Tod beten.“
Jetzt rächt es sich, dass er die Seilschaften des 35-jährigen Wojtyla-Ratzinger-Pontifikats nicht nach Hause geschickt und die alte Garde nicht entmachtet hat. Denn während sich der afrikanische Block gemeinsam mit den Bischöfen Osteuropas und Nordamerikas Bergoglios Reformkurs widersetzt, ist die Mobilmachung aufseiten seiner Befürworter schwach. „Wo sind die Bischöfe der Welt“, fragt Politi darum zu Recht, „die bereit sind, dem argentinischen Papst bei seiner Politik der Veränderung zur Seite zu stehen?“ Von Mitstreitern wird Franziskus kritisiert, da er als Solist agiere, der es versäumt habe, sich ein eigenes Team zusammenzusuchen, während er gleichzeitig mit der großen Kurienmaschinerie im Clinch liegt. Hinzu kommt, dass die Existenz eines Schattenpapstes, eines „Papa emeritus“, der im Hintergrund „eine Art Parallellehramt“ ausübt, laut Politi eine immer größere Belastungsprobe für Franziskus ist.
Die Popularität von Franziskus geht merklich zurück
Dass es unter diesen Umständen schwierig sein würde, die Kirche umzugestalten, war Franziskus von Anfang an klar. „In Rom Reformen durchzuführen heißt gleichsam, die Sphinx von Ägypten mit einer Zahnbürste zu putzen“, hat er einmal gescherzt. Wie aufreibend und haarig es ist, den innerkirchlichen Augiasstall auszumisten, hat Franziskus spätestens zu spüren bekommen, als er sich daran machte, das Pädophilie-Problem der katholischen Kirche in den Griff zu bekommen. Marco Politi rekonstruiert, wie Franziskus mit einer Politik von „Null Toleranz“ gegenüber Pädophilen in der Kirche auf ein Netzwerk der „Omertà“, des mafiosen Schweigens, trifft. Er enthüllt, wie er erleben muss, dass Missbrauchsfälle von Würdenträgern beschönigt und bagatellisiert werden, sodass er – fehlinformiert – sich öffentlich in Widersprüche verwickelt. Wie er von Erzbischof Carlo Maria Viganò, dem früheren Nuntius der Vereinigten Staaten, in einer Anklageschrift zum Rücktritt aufgefordert wird, weil er angeblich einen pädophilen Bischof decke.
Erneut zeigt sich hier die Heimtücke von Franziskus’ Feinden in den eigenen Reihen. „Viganòs Memorandum ist ein vergifteter Köder“, so Politi, „er mischt Wahrheiten und falsche Behauptungen, doch die Wirkung ist durchschlagend.“ Die Popularität von Franziskus in der Öffentlichkeit geht merklich zurück. In Wirklichkeit hatte Franziskus eine Kommission zum Schutz von Minderjährigen gegründet, in die er die Missbrauchsopfer Peter Sanders und Marie Collins berief, und er hat mit eisernem Besen jene Kräfte aus der Kirchenspitze entfernt, die in Missbrauchsskandale verwickelt waren, wie zum Beispiel Theodor Kardinal McCarrick, den ehemaligen Erzbischof von New York, oder Donald Kardinal Wuerl, den Erzbischof von Washington. „Das alles sind unumkehrbare Schritte in Richtung null Toleranz“, bilanziert Politi. „Doch auf der anderen Seite sind die Widerstände, das Sträuben und die Sabotagen im Vatikan mit Händen zu greifen.“
In der Welt der harten Fronten bleiben Franziskus kleine Gesten
Und so wurden auf dem Gipfel zum Thema Pädophilie im Februar 2019 von der „überwiegenden Mehrheit der Bischofskonferenz keinerlei Strukturen geschaffen, an die sich die Opfer wenden könnten, um Anzeige zu erstatten und Gerechtigkeit und Entschädigung zu erhalten“. Marco Politis „Das Franziskus-Komplott“ ist ein ebenso lehrreiches wie spannendes Buch. Es zeigt, wie hinter den Kulissen des Vatikans ein „Bürgerkrieg“ entbrannt ist, der zu einem „Schisma“ in der katholischen Kirche führen kann. Es legt mit beeindruckender Sachkenntnis perfide Manöver frei, mit denen die Anti-Bergoglio-Fraktion den Papst diskreditieren will, und zeigt mit Empathie die Einsamkeit von Franziskus, der nicht nur innerhalb der Kirche gegen eine Armee von Feinden kämpft.
Denn auch die politische Landschaft der Welt hat sich zum Nachteil von Franziskus’ Reformkurs gewandelt. Eckpfeiler der multilateralen Architektur, auf die sich Bergoglios Vorgänger jahrzehntelang verlassen konnten, geraten ins Wanken, die Europäische Union bekommt Risse, rechtspopulistische Strömungen sind im Aufwind und eiserne Führergestalten wie Trump, Putin, Orbán, Erdogan, und Bolsonaro geben mittlerweile den Ton an – alles Tendenzen, die den von Franziskus eingeschlagenen Weg des friedlichen Miteinanders erschweren. In dieser Welt der harten Fronten bleiben Franziskus oft nur Gesten in seinem persönlichen Umkreis, um ein Leben im Sinne Jesus Christus umzusetzen: etwa wenn er am Gründonnerstag 2013 zwei Frauen die Füße wäscht, weil auch Frauen Apostel waren, oder wenn er im Oktober 2016 zur 500-Jahr-Feier der Reformation nach Schweden reist, um die Errungenschaften der Reformation zu würdigen und die Gemeinschaft von Katholiken und Lutheranern zu betonen.
Marco Politi: „Das Franziskus-Komplott“ (Herder, 304 Seiten 24 Euro)