Das Ende einer Treibjagd
Stolze 13 Jahre war er auf der Flucht, es gab aus dieser Zeit kein Foto von ihm. Am Samstagsmorgen aber endete die Jagd auf Joaquín „El Chapo“ Guzmán, den mächtigsten Drogenboss der Welt, in einem Mittelklassehotel im mexikanischen Mazatlán. El Chapo („Der Kleine“) misst nur 1,60 Meter, er ist allerdings der größte Fang seit dem Ende von Pablo Escobar, dem kolumbianischen Drogenbaron, der am 2. Dezember 1993 von einer amerikanisch-kolumbianischen Elite-Einheit auf einem Hausdach in Medellín erschossen wurde.
Beide eint eine Art Robin-Hood-Mythos, beide hatten riesigen Rückhalt in der Bevölkerung, den sie sich durch viel Geld und Wohltaten erkauften. Denn auch El Chapo, bettelarmer Bauernsohn, hatte nie vergessen, in welchen Verhältnissen er aufgewachsen war, auch nicht, als er längst von „Forbes“ als Dollar-Milliardär eingestuft wurde.
Was nun mit ihm geschieht, ist noch unklar. Laut mexikanischem Justizministerium soll der 56-Jährige zunächst den Rest seiner 20-jährigen Gefängnisstrafe verbüßen, der er sich am 19. Januar 2001 durch Flucht entzogen hat – angeblich versteckt in einem Wagen für die Wäscherei.
Ein Krieg mit 80 000 Toten
Ein Sprecher der New Yorker Staatsanwaltschaft stellte einen Auslieferungsantrag in Aussicht, weil Guzmán auch in den USA Verbrechen zur Last gelegt würden. Kaum einer glaubt, dass Mexiko El Chapo sicher inhaftieren kann, vor allem aber ist klar, dass die Verhaftung erschreckend wenig Einfluss auf den Fortgang des Drogengeschäfts nehmen wird.
El Chapos Aufstieg begann mit dem Niedergang der kolumbianischen Kartelle. Schon Anfang der Siebziger Jahre war der Drogenhandel im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa zum wichtigsten Wirtschaftszweig aufgestiegen, für El Chapos Kartell sollen in Hochzeiten zur Jahrtausendwende rund 150 000 Menschen gearbeitet haben, hauptsächlich damit beschäftigt, Unmengen von Rohopium und Kokain auf die lukrativen Märke in Nordamerika, Europa und Asien zu befördern.
Als die mexikanische Regierung vor einem Jahrzehnt mit Unterstützung der USA begann, gegen die Drogenkartelle vorzugehen, explodierte die Gewalt. Rund 80 000 Todesopfer sind im Drogenkrieg seit dem Jahr 2006 gefallen.
Ein Bericht aus der Hölle
Der amerikanische Journalist Malcolm Beith hat für sein packendes Buch „El Chapo - Die Jagd auf Mexikos mächtigsten Drogenbaron“ inmitten dieser Gewaltorgie recherchiert. Dieser Bericht aus der Hölle sprengt jede mitteleuropäische Vorstellungskraft, denn im Drogengeschäft ist alles maßlos: der Profit, die Brutalität, die Korruption und die Verwegenheit.
Im November 2007 heiratete El Chapo zum dritten Mal, die Auserwählte war die 18-jährige Schönheitskönigin Emma Coronel Aispuro. Beith schildert, wie sich der Drogenbaron auf der Flucht seiner Angebeteten auf einer Tanzveranstaltung in der Kleinstadt Canelas näherte: Eine Armada von zweihundert geländetauglichen Motorrädern rollte in die Stadt. Die bewaffneten Besucher sperrten alle Zufahrtsstraßen. Dann landete ein Kleinflugzeug, an Bord El Chapos Lieblingsband Los Canelos de Durango mit ihren Instrumenten und vergoldeten Pistolen. Neun weitere Flugzeuge folgten mit Leibwächtern, kistenweise Whiskey und dem Chef persönlich, der ein AK-47 Sturmgewehr bei sich trug. Der leidenschaftliche Tänzer soll sich bis in die frühen Morgenstunden vergnügt haben, dann zog er mitsamt seiner Privatarmee wieder ab.
Zuletzt soll El Chapo wochenlang mit Überwachungsdrohnen ausgespäht worden sein. Im vergangenen Monat machten die Fahnder eine bahnbrechende Entdeckung: Sie fanden sieben Häuser in Culiacan, die sowohl untereinander als auch mit der Kanalisation über geheime Tunnel verbunden waren. Darüber entkam Guzmán kurz vor seiner Verhaftung noch einmal: Bei einer Razzia in einem der Häuser fanden sich die Fahnder in der Hauptresidenz des Drogenbosses wieder. Dieser aber entschwand laut Polizei über eine Luke unter der Badewanne und hängte seine Verfolger hinter stahlverstärkten Türen im Tunnelsystem ab. Es war seine letzte Flucht.
Malcom Beith „El Chapo“ (Heyne Hardcore, 352 Seiten)
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