Das Ende des Dornröschenschlafs
An Joseph Beuys, der vor 25 Jahren starb, scheiden sich bis heute die Geister - noch zu seinen Lebzeiten wurde der Ankauf einer Installation für das Lenbachhaus zum umkämpften Politikum
Das ist doch Müll!“, japste ein junger, feuriger Stadtrat nach Luft. Und hatte auf den ersten Blick ja auch nicht ganz unrecht. Doch die Perspektiven ändern sich, längst sitzt der „Müllmann“ Joseph Beuys im Olymp der Künste, noch bevor die Asche seiner sterblichen Überreste über der fernen Nordsee verstreut wurde. Am Sonntag vor genau 25 Jahren starb der streitbare Aktionskünstler, der der biederbraven Münchner Szene einen ordentlichen Stoß versetzt hatte.
Denn dass das „Ende des 20. Jahrhunderts“ zum raumgreifenden Besuchermagneten eines mächtigen Kunsttempels werden sollte, war in den 70er Jahren nicht abzusehen. Zeitgenössisches, das kehrt man inzwischen gerne unter den Teppich, hatte es mehr als schwer. Und die Kunstschlacht-Veteranen bekommen glänzende Augen, wenn sie von der heftig angefeindeten ersten Beuys-Erwerbung erzählen.
Drohbriefe und Handgreiflichkeiten
Brandhorst-Direktor Armin Zweite war blutjunger Chef am Lenbachhaus, als 1980 „Zeige deine Wunde“ nach heftigen Grabenkämpfen endlich angekauft wurde. Für 270000 Mark, von denen knapp gehaltene Museumsleute heute nur träumen können. Hätte der im August letzten Jahres verstorbene Mäzen Christof Engelhorn nicht die Hälfte des Betrags zugeschossen, wäre die Stadt womöglich heute noch ohne Beuys.
Denn die Installation mit den beiden Leichenbahren wirkte wie eine Art Katalysator zur Öffnung Münchens fürs Zeitgenössische. Auch wenn nicht nur Zweite Drohbriefe bekam und es unter den Lenbachhaus-Besuchern schon mal zu Handgreiflichkeiten kam. Aber für den nächsten Beuys war der Weg schon bereitet.
Und der Schamane hatte Charisma, wickelte selbst das mürrische technische Personal um den Finger, als die schweren Basaltblöcke vom „Ende des 20. Jahrhunderts“ in Position gehievt werden mussten. Carla Schulz-Hoffmann, Vize-Direktorin der Staatsgemäldesammlungen, hat den zweiten Großankauf begleitet und berichtet amüsiert über Beuys’ Wunsch, im Haus der Kunst (damals Sitz der Sammlung für die Moderne) auf keinen Fall im Keller zu landen. Aber da gab’s eh keine Diskussionen mehr. Und verständlich, dass auch Peter Gauweiler, der junge Stadtrat von damals, diese Woche keine Lust mehr hatte, mit uns über Müll zu sprechen.
Christa Sigg
Gespür für die Badewanne - ein Gespräch mit dem Sammler Lothar Schirmer
Er gehört zu den ganz frühen Sammlern von Joseph Beuys. Und die „Badewanne“, neben der Lothar Schirmer auf dem Foto rechts so freundlich lächelnd im klassischen Kontrapost steht, hat auf kuriose Weise Bekanntheit erlangt: Bei einer SPD-Sause wurde das Sanitärobjekt quasi zerstört.
AZ: Herr Schirmer, Sie hatten ja einen richtig guten Riecher. Schon als Schüler haben Sie Beuys entdeckt.
LOTHAR SCHIRMER: Ich war 19 Jahre alt, aber natürlich entdeckt man die Sache erst mal für sich selbst. 1964 habe ich drei Zeichnungen und drei Skulpturen von Beuys auf der Documenta gesehen. Die Skulpturen fand ich völlig abstoßend, die Zeichnungen haben mich dagegen ungeheuer angerührt.
Diese Widersprüche ziehen sich durchs ganze Werk.
Ungeheuer. Die orthodoxe zeitgenössische Kunstkritik hat sich ja immer das Abstoßende ausgesucht und fertig gemacht. Ich bin damals einen Sommer lang mit dem Rätsel rumgelaufen, wie jemand so völlig Unterschiedliches schaffen konnte.
Das mussten Sie klären.
Unbedingt, also habe ich dem Professor Beuys in Düsseldorf einen Brief geschrieben. Und drei Wochen später kam die Antwort per Einschreiben: Er Freude sich über mein Interesse, könne aber nichts schicken, weil das wohl viel zu teuer sei. Wenn bei mir eines Tages der Rubel dann rollen sollte, könnte ich ihn gerne besuchen und etwas kaufen. Beuys legte eine ziemlich abstrakte Zeichnung bei – „Der Spaziergang 1951“.
Sie wollten aber nicht länger warten?
Nein, Anfang 65 habe ich ihn zwischen meinen Abiturprüfungen besucht. Er öffnete eine Mappe mit Zeichnungen und mir war völlig klar, hier an einer Kunstquelle von äußerster Intensität zu sein. Da standen auch viele Skulpturen rum und ich habe innerlich gefleht, er möge mich bloß nicht nach meiner Meinung fragen.
Und, hat er?
Nein, er war sich seiner Sache absolut sicher. Statt dessen wollte er wissen, ob ich seine Zeichnung richtig herum aufgehängt hatte. Ich: Wie richtig rum? Darauf er: Ja haben Sie denn die Frau mit Kinderwagen nicht gesehen? Ihm war offensichtlich klar, dass man sich die Sache ganz abstrakt vorstellen würde. Na ja, ich habe den „Spaziergang“ dann richtig rum aufgehängt...
Herrlich subtile Ironie. Humor scheint wichtig zu sein?
Oh ja, damit ist dieser Beuys schon gut begreifbar. Aber er hatte eben auch diese ungeheure Arbeit getan, eine neue Version von zeitgenössischer Kunst zu entwickeln. Damit verbindet sich dann der ganzheitliche, fast anthroposophische Ansatz, den er aber nie zugegeben hat. Damit war kein Blumentopf zu gewinnen, das war angestaubt. Trotzdem ist das eine wichtige Quelle für seinen Weg als Pädagoge, Prediger, Vortragsreisender. Er war ja der Meinung, dass man die Menschen noch anders als mit der Kunst erreichen muss.
Beuys hat sich ganz geschickt stilisiert, angefangen beim Absturz über der Krim.
Er war ein raffinierter Hund. Aber er hat immer mit offenen Karten gespielt. Eine Aufdeckung wie Günter Grass’ verschwiegene Mitgliedschaft bei der Waffen-SS wäre ihm nicht passiert. Damit hat sich Beuys allerdings auch angreifbar gemacht. Aber klar, mit seiner ganzen Figur wollte er etwas ausdrücken und ein Image schaffen – so wie ein Filmstar oder Theatermann.
Mit Hut und Mantel.
Da denke ich an die Stummfilmzeit, aber auch an die amerikanischen Gangster- und Cowboyfilme der 40er Jahre, das hat er wie ein Schwamm in sich aufgesogen.
Was er mit dieser auffälligen Attitüde prophezeit hat, wurde später zum großen Thema.
Sicher, Beuys hat vieles vorausgesehen. Da ist zum Einen die Mauer gefallen, das hätte kein Realpolitiker für möglich gehalten. Eine grüne Partei kam, für die Beuys aber im Grunde zu wild war. Dann hat sich in der Bevölkerung ein ökologisches Bewusstsein entwickelt. Das ist noch nicht das Gelbe vom Ei, aber ein Schritt, den Beuys immer befürwortet hat. Und die ökonomische Optimierung als Lebensziel ist ja auch an die Grenzen gestoßen.
Trotzdem bringt Beuys manchen heute noch in Rage. Erst kürzlich habe ich ein amüsantes Gespräch vor dem „Ende des 20. Jahrhunderts“ erlebt.
Schon, aber aus dem Material- den Kunstwert zu ermitteln, müsste spätestens seit Kurt Schwitters Klebebildchen aufgehoben sein. Dennoch kalkulieren auch zeitgenössische Künstler wie Damien Hirst mit seinen Platinschädeln schon wieder mit diesem Materialwert. O, a Sackl Gold!, ums mit Carl Orff zu sagen.
cig
- Themen:
- Haus der Kunst
- Peter Gauweiler