Das Chamäleon mit Charakter
Kein Rockmusiker kann von sich behaupten, Jahrzehnte geprägt zu haben: Bob Dylan kann es. Am Dienstag wird der Mann aus Minnesota 70.
München - Der Mann, der auf seinen KonzertenIm Grunde ist es nur eine Gegendarstellung zu Berichten über seine Konzerte im totalitären China. Er kontert dem Vorwurf, sich der Zensur unterworfen zu haben. Aber der letzte Absatz enthält eine sarkastische Beschreibung seines Status als Rocklegende und die Einladung, es solle ruhig jeder ein Buch über ihn – nein, nicht schreiben – „kritzeln”!
Dylan hat sich nie angepasst, ist nie einem Trend gefolgt – der am 24. Mai in Duluth im US-Staat Minnesota als Robert Allen Zimmermann geborene Dylan hat die Popkultur der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mitgeprägt, hat Entwicklungen angestoßen. Und seine „Never Ending Tour” ist auch in diesem Jahrhundert noch nicht zu Ende.
Dylan wurde ein Leben lang gefeiert und geschmäht. Er wurde zum Sprachrohr einer Generation erhoben und als Verräter verschrien, als Genie verklärt und als schräg singender Protestbarde abgetan: Dylan ließ keine unentschiedene Haltung zu.
„Blowin' In The Wind”, „The Times They Are A-Changin'”, „Like A Rolling Stone” - niemand hatte vor ihm so raffiniert einfache Folk-Strukturen mit den Themen der Zeit in sprachgewaltiger Lyrik ausgedrückt.
Dylans Universum steht scheinbar jedem offen, es lässt sich aber besser erschließen, wenn man sich mit der Bibel, der amerikanischen Freiheitserklärung und der nachfolgenden Geschichte beschäftigt hat. Auch die Lektüre einiger Gedichte von Arthur Rimbaud und dem Künstlernamengeber Dylan Thomas ist hilfreich.
Viele Musikerkollegen haben Dylans Lieder bewundert und versucht, ihnen in eigenen Interpretationen neue Facetten abzugewinnen. „All Along The Watchtower” in der Version von Jimi Hendrix und „Mr. Tambourine Man” von den Byrds sind womöglich noch immer bekannter als Dylans Originale. Aber die Originale haben die Entwicklung ganzer Genre vorgegeben: Folk-, Progressive oder Psychedelic Rock.
In seinem Buch „Chronicles” hat Dylan einiges über seine Anfänge in New York 1961, aber auch seine schwere Krise als ausgebrannter Rockstar in den 80er Jahren erzählt. Der berühmte Motorradunfall vom Sommer 1966 wird mit einem Satz abgehandelt – er war wohl eine Gelegenheit, eine Auszeit zu nehmen. Dafür schildert Dylan, wie in ihm erst nach etlichen Auftritten in der New Yorker Folkszene allmählich der Entschluss reifte, selbst Lieder zu schreiben. Schritt für Schritt habe sich die eigene Kreativität Bahn gebrochen: „Manchmal will man etwas auf seine eigene Art erledigen, will sehen, was hinter diesem nebligen Vorhang ist.”
Rund 600 Songs hat Dylan geschrieben. Seit den 60ern hat er unzählige Konzertreisen gemacht, nach Deutschland kam er aber zum ersten Mal erst 1978. Zum Konzert vor 70000 Fans auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, dem früheren Reichsparteitagsgelände, sagte er einmal, es habe ihn „als Juden auf diesem Platz” fast umgebracht.
Dylan wollte nie Stimme seiner Generation sein, wie er einmal in einem Radiointerview sagte. „Das ist ein Begriff, der einem nur Probleme macht. Diese kolossalen Lobpreisungen und Titel kommen einem nur in die Quere.” Dylan ist ein Meister der musikalischen Maskerade; selten spielt er ein Lied auf einem Konzert so wie auf ein Album gepresst. Er verfremdet und verzerrt, seine Launen in dieser Hinsicht sind unberechenbar. Manchmal erkennen selbst die textsichersten Fans einen Song erst an einer besonders charakteristischen Stelle.
In den 80er Jahren, sagt er, habe er nicht mehr an seine eigenen Lieder geglaubt. Dann habe er in Sessions mit den Grateful Dead entdeckt, was diese Lieder anderen Musikern bedeuten konnten – das Album „Dylan & The Dead” entstand daraus. In den 90er Jahren ließ Dylan sich auch von einer lebensbedrohlichen Krankheit nicht mehr von seinem musikalischen Weg abbringen. „Time Out of Mind” markierte den Beginn eines großen andauernden Alterswerks.