Das Alter tragisch ignorieren

"Powder Her Face" von Thomas Adès in der Scholastika
Robert Braunmüller |
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"Powder Her Face" mit Jessica Poppe.
Aylin Kaip 3 "Powder Her Face" mit Jessica Poppe.
"Powder Her Face" mit Jessica Poppe.
Aylin Kaip 3 "Powder Her Face" mit Jessica Poppe.
"Powder Her Face" mit Jessica Poppe.
Aylin Kaip 3 "Powder Her Face" mit Jessica Poppe.

Manchmal ist der hiesige Opernbetrieb reichlich blind. Orchesterwerke des Komponisten Thomas Adès tauchen in den Programmen der Münchner Orchester auf, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat der Brite auch schon dirigiert. Doch die seit Jahrzehnten international vielgespielte Kammeroper "Powder Her Face" schaffte es bisher auf keine Münchner Musiktheaterbühne, obwohl sie eine sehr attraktive Hauptrolle für eine ältere Charakterdarstellerin hat.

Nun ist die Oper als mutige, freie Produktion in der Scholastika überm Haxnbauer unweit des Platzls zu sehen. Regie führt der als Entdecker weniger gespielter Werke bekannte Andreas Wiedermann mit seiner Operntruppe Opera Incognita. Martin Wutz leitet kompetent ein kleines Ensemble aus fünf Streichern, drei Klarinetteninstrumenten, Klavier und Schlagzeug.

Die 1995 uraufgeführte Oper hat einen Ruf als Skandalwerk wegen einer Oralsex-Szene. Sie erzählt Episoden aus dem Leben einer britischen Femme fatale - offenbar frei nach dem exzessiven Leben von Margaret Campell, der Duchess of Argyll (1912-1993). Die wird nach hohem Männerverbrauch am Ende ihres Lebens verarmt aus einem Hotel geworfen, nachdem es ihr misslungen ist, mit ihrer Alterserotik den Manager zu verführen. Die drei Klarinetten klingen so schrill wie die alternde Hauptfigur, die im Verlauf der Handlung jeden Realitätsbezug verliert. Dazu wird Tanz- und Unterhaltungsmusik verfremdet. Das sorgt für leichte Zugänglichkeit, obwohl die Musik letztendlich sperrig bleibt, weil Adès darauf verzichtet, den Text musikalisch zu bebildern und der Operntradition allzu auffällig zu huldigen.

Es ist ein surrealer Reiz von "Powder Her Face", dass Jenavieve Moore (Maid), Florian Dengler (Manager) und Dan Chamandy (Elektriker) auch weitere Rollen übernehmen. Andreas Wiedermanns Inszenierung verstärkt das noch, weil sich eine freie Produktion keinen staatstheaterhaften Kostüm- und Maskenaufwand leisten kann, um die Zeit zwischen 1934 und 1990 zu bebildern. Die Ausstatterin Aylin Kaip mobilisiert auf der kleinen Bühne allerdings unerwartete Reserven an Hüten und Kleidern.

Jessica Poppe singt die Herzogin musikalisch absolut untadelig. Als Darstellerin ist sie etwas zu damenhaft und unexzentrisch. Leider ist es ihr verwehrt, das Altern der Figur darzustellen, die mit ihrer grotesken Realitätsverweigerung vor allem im zweiten Teil aus der Gegenwart fällt und die Welt nicht mehr versteht. Das ist ein Kompromiss, mit dem man bei dieser Aufführung durchaus leben kann.

Dass Wiedermann die Komödiantik eher gebremst hat, statt sie noch zusätzlich zu überdrehen, ist bei einem bereits recht aufgekratzten Stück ebenso eine Wohltat wie die eher diskret ausgespielte Erotik.

"Powder Her Face" ist eine der besten neueren Kammeropern von Adès. Die späteren Bühnenwerke, darunter der 2016 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte "Exterminating Angel" nach Luis Buñuel waren dagegen vergleichsweise fad. Daher würde man der Aufführung in der Scholastika ein paar solvente Zuschauer mehr wünschen als in der eher schwach besuchten Premiere. Was sicher mit den happigen Kartenpreisen zu tun hat - aber privat produzierte Opern sind halt leider nicht billig.

Wieder am Donnerstag, 5., Freitag, 6. und Samstag, 7. Oktober in der Scholastika, Ledererstraße 5 (dritter Stock, Akademischer Gesangsverein), Karten zu 52 Euro bei Münchenticket und an der Abendkasse

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