Comedy-Preis ehrt Steinzeit-Humor

Die meisten deutschen Comedy-Acts sind nichts für intellektuell Anspruchsvolle. Ein Wissenschaftler meint nun sogar, dass der von RTL vergebene Comedypreis Lacher belohnt, die so primitiv sind wie Höhlenmenschen.
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Die meisten deutschen Comedy-Acts sind nichts für intellektuell Anspruchsvolle. Ein Wissenschaftler meint nun sogar, dass der von RTL vergebene Comedypreis Lacher belohnt, die so primitiv sind wie Höhlenmenschen.

Gut, dass Marcel Reich-Ranicki das nicht erleben musste. Wenn er schon die Gala des Deutschen Fernsehpreises niveaulos fand, was würde er wohl zur Verleihung des Deutschen Comedypreises am Freitagabend sagen? Menschen kosten Katzenfutter oder versuchen, sich möglichst viele Münzen in die Unterhose zu stopfen. Dazu immer mal wieder eine neue umgangssprachliche Bezeichnung für primäre und sekundäre Geschlechtsorgane und dazwischen viel «Scheiße».

Die Preisträger werden nach RTL-Angaben «durch eine Jury aus renommierten Fachleuten bestimmt». Die besonders derbe Pro-Sieben- Reihe «Elton vs Simon» («Wer kann am längsten Porno schauen, ohne eine Erektion zu bekommen?») wurde beste Comedyshow, die RTL-Arzt- Serie «Doctor's Diary» beste Comedyserie und «Switch Reloaded» beste Sketchcomedy. Beste Schauspielerin ist nach dem Urteil der Fachleute Nora Tschirner aus dem Til-Schweiger-Film «Keinohrhasen», bester Schauspieler Michael Kessler, der sich mit Parodien auf Edmund Stoiber, Florian Silbereisen und Adolf Hitler empfahl.

«Das sind nicht 20 Zentimeter, nie im Leben kleiner Peter»

Mirja Boes, die mit Ballermann-Schlagern wie «Das sind nicht 20 Zentimeter, nie im Leben kleiner Peter» den Durchbruch schaffte, darf sich beste Komikerin nennen, Michael Mittermeier bester Komiker. Mario Barth («Männer sind primitiv, aber glücklich») erhielt zum vierten Mal in Folge den Award für den erfolgreichsten Live Act. Mit einem Auftritt vor 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion hatte er im Juli einen «Comedy-Weltrekord» aufgestellt. Diese Zahlen sind so unglaublich, dass sich mit Barth mittlerweile auch die Wissenschaft beschäftigt. Der Humor des 35-jährigen richte sich «an stammesgeschichtlich schon sehr alte Gehirnstrukturen, die eine Gefühlskommunikation ohne reflexives Bewusstsein ermöglichen», sagte der Berliner Psychologe Prof. Peter Walschburger. Frei übersetzt: So hat man zur Steinzeit auch schon gelacht. Walschburger warnt jedoch vor «intellektuellem Hochmut» nach Art Reich-Ranickis: «Mario Barth hat sicherlich eine besondere Leistung erbracht, wenn auch keine Leistung im Sinne von Bildung. Die schiere Zahl der Leute zeigt, dass das eine Medienwirkung ist, die man ernst nehmen muss.»

Loriot finden alle gut

Auch der Kommunikationswissenschaftler Prof. Volker Gehrau aus Münster will die gute, alte «Scheibenwischer»-Zeit nicht glorifizieren: «Ich bin mit «Klimbim», «Nonstop Nonsense» und Louis de Funes aufgewachsen, das war auch nicht viel anders, nur haben wir das noch nicht als Comedy gesehen.» Auch heute finde sich noch der eine oder andere Anarchist unter den Comedians, etwa der unberechenbare Helge Schneider. «Generell gilt: Lachen ist eines der sozial verbindendsten Dinge überhaupt. Loriot zum Beispiel ist so eine Figur, die einfach alle gut finden.» Prof. Joan Kristin Bleicher von der Universität Hamburg, die Comedy-Sendungen gezielt untersucht hat, sieht ebenfalls einen psychologischen Nutzen: «Viele schalten solche Programme abends gezielt ein, um ihre Stimmungslage zu optimieren.» Dabei beobachtet sie einen Trend zur Spezialisierung: «Die Programme werden immer stärker für eine ganz bestimmte Zielgruppe gemacht und deshalb ist auch die Ausgrenzung stärker.» Will sagen: Entweder man liebt es - oder man hasst es. (Christoph Driessen, dpa)

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