Christopher Isherwood: Überwältigung in den Anden
1948 bricht der Schriftsteller Christopher Isherwood mit seinem Freund und Fotografen zu einer Reise durch Südamerika auf.
Der Führer hat einen ordentlichen Kater vom Vorabend. Isherwoods Bitte um eine englische Version seines Vortrages kommt nicht gut an: „Er war sowieso ziemlich vage, eine konfuse Wiedergabe von Binghams Vermutungen und Theorien. Eigentlich war es egal.“
Fast 37 Jahre ist es zu diesem Zeitpunkt her, dass die Inka-Ruinenstadt Machu Picchu durch die Expedition des Amerikaners Hiram Bingham entdeckt wurde. Christopher Isherwood empfindet aber gerade sowieso keine Notwendigkeit historisch korrekter Information, sondern schiere Landschaftsüberwältigung. Es ist der 16. Januar 1948.
Vier Monate ist Christopher Isherwood schon unterwegs. Vor der Küste von New Jersey beginnen seine Aufzeichnungen. Nach „laxiativen Leistungen“ und großzügiger Dusche gab es Frühstück – notiert in allen Bestandteilen. In Cartagena wird er endgültig von Bord gehen, um grob entlang der südamerikanischen Küste durch Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien bis Argentinien zu reisen. Am 27. März 1948 will er sich in Buenos Aires nach Le Havre einschiffen, um die lange, umständliche Rückreise zu beginnen.
Ursprünglich ist Isherwood Engländer. Ab 1929 findet man ihn als Sprachlehrer in Berlin. Mit seinem Schulfreund und zeitweiligen Lebenspartner, dem Schriftsteller W. H. Auden. Berlin ist Inspirationsquelle für seine Romane „Mr. Norris steigt um“ und „Leb wohl Berlin“. Sie werden Grundlage für das Broadway-Musical „Cabaret“. Hitlers Machtergreifung zwingt Isherwood zur Emigration, und schließlich landet er in Amerika.
Die Südamerikareise unternimmt er mit Bill Caskey, der als Fotograf in den Aufzeichnungen eingeführt wird, aber natürlich auch Isherwoods Lebensgefährte ist. Vor allem seine im Buch abgedruckten Porträtfotos sind staunend fasziniert vom Fremden. Dann und wann wird Caskey zur herrlichen Anspielstation für Isherwoods Text.
In Bogotá nimmt Isherwood das kulturell-gesellschaftliche Leben auf. Mit dem Universitätsdozenten Howard Rochester plaudert er sich von William Shakespeare bis zum spezifisch kolumbianischen Humor. Ein darauffolgender Zeitungsartikel lobt die „unverwüstliche Geduld“ Caskeys bei diesem Gespräch. Isherwood findet das „taktvoll“: „Eigentlich saß er da und sah aus wie eine ausgestöpselte Lampe.“
Natürlich hat Isherwood den Text überarbeitet, aber seine Literatur lebt von der Zufallsdramaturgie des Reisens. Und als sensibler Autor ist es die Aufgabe, den irrlichternden Moment zu erhaschen: „Ein Tagebuchschreiber sollte sich, zumindest hin und wieder, lächerlich machen. Er zielt darauf ab, eher impressionistisch und spontan zu sein, anstatt verlässlich“, heißt es in der Danksagung.
Isherwood sieht Länder, die nach Jahren der Kolonialisierung in eine ungewisse Zukunft streben. Was gibt diesen Gesellschaften Halt? Die Dogmatik des Protestantismus stößt ihm im Vergleich zum Katholizismus auf. „Viel zu rigide“ findet Isherwood die ethischen Maßstäbe: „Wo ist der Unterschied zwischen Lügen und eine Zigarette rauchen? Die Katholiken sind in dieser Hinsicht viel vernünftiger“, sinniert er nach dem Besuch eines Gottesdienstes in Pisac. Die anschließende Zeremonie, bei der Amtsstäbe der Bürgermeister gesegnet werden, kann er sich zwar nicht erklären, aber er ahnt eine ungezwungene Mischung aus Inka-Ritualen und Katholizismus.
Christopher Isherwood: „Kondor und Kühle. Ein südamerikanisches Reisetagebuch“ (Liebeskind, 391 Seiten, 22 Euro)
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