"Changes" im GOP
Um zurück in die Achtziger zu reisen, braucht es nicht viel. Man muss nur einen Walkman sehen und schon wird man gedanklich in eine Zeit zurückkatapultiert, als man seiner Angebeteten in liebevoller Kleinstarbeit Mix-Tapes zusammenstellte, damit sie diese - dank Walkman - sogar beim Gehen anhören konnte.
Im Varieté-Theater GOP nutzt das musikalische Multitalent Jan Dutler solch ein Gerät für eine Zeitreise: "Freeze" ruft er, auf dass das Team auf der Bühne stillsteht, sagt dann "Rewind" und lässt, den kleinen Kassettenrekorder mit den Kopfhörern in der Hand, die Zeit rückwärtslaufen. Beziehungsweise: Seine Kolleginnen und Kollegen spulen ihre Bewegungen zurück, bis ein Anfangspunkt erreicht ist, von dem aus man ja vielleicht auch in eine andere Richtung starten könnte. Lassen sich Fehler vielleicht vermeiden? Und Gegenwart und Zukunft mitsamt alten Verhaltensmustern womöglich verändern?
"Changes" heißt die neue Show der kanadischen Kompagnie "Machine de Cirque", die in München immer mal wieder auftaucht, sei es im GOP oder beim Tollwood-Festival. Die Truppe aus Québec hat einen ganz eigenen, lässigen, vogelwilden Stil, den sie in wechselnder Besetzung in praktisch allen ihren Shows zelebrieren. Ihre Akrobatiknummern bringen sie bevorzugt in einen thematischen Rahmen, der jedoch eher assoziativ als erzählerisch-stringent gefüllt wird. Dabei erzeugen sie gerne mal überbordende Wimmelbilder, die das Zuschauerauge mit ihrem orchestrierten Chaos überwältigen.
Gerade zu Beginn von "Changes" schweift der Blick manchmal etwas orientierungslos hin und her, wenn das versammelte Team etwa mit mehreren Kegeln gleichzeitig wirbelt, dabei Frauenkörper auf Männerrücken gestapelt werden, auf dass sowohl in der oberen Etage als auch der unteren immer weiter jongliert wird. Inwiefern diese Truppe zu der Tankstelle gehört, die mitsamt Zapfsäulen, einem langgestreckten Wagen plus Telefonzelle und weißer Kühlbox den nostalgischen Rahmen bildet, erschließt sich nicht ganz. Figuren werden hier kaum konturiert, die ganze Show ist zu Beginn diffus.
Immerhin gibt der Schauspieler und Comedian Olivier Lépine eindeutig den Tankwart, der sich wiederholt ein Schlückchen aus einem der Kegel gönnt und insgesamt etwas gefühlswund wirkt. Kein Wunder, hat er doch einst in den Achtziger-Jahren eine bezaubernde Frau kennengelernt, mit der er - mit viel Körpereinsatz des Teams wird die Geschichte erzählt - auf Weltreise ging. Ja, auch eine Kassette schenkte er ihr, was sie aber nicht daran hinderte, ihn zu verlassen. Auf ihren Anruf wartet er nun schon seit vierzig Jahren, die Telefonzelle zieht ihn ständig an und die Achtziger spuken in seinem Kopf herum.
Furios komisch lässt Olivier Lépine einmal verschiedene Posen und Bewegungen von Michael Jackson Revue passieren, die jüngere Generation schaut ihm dabei staunend zu und nickt erst, als sie auf einem Smartphone nachgoogelt. Ein paar schlimme Informationen über den King of Pop finden sich da auch, der ernüchterte Lépine findet das patzig "so bad!". Die Achtziger waren letztlich nicht so glorreich wie gedacht, aber ein bisschen Verdrängen und Träumen ist in dieser Show erlaubt, zum Beispiel, wenn Constance Dansart als die vom Tankwart vermisste Geliebte eine herrliche Trapeznummer hinschwebt.
Das Schweben und das Fliegen gehören zu den magischen Fähigkeiten, an denen sich die vier Akrobatinnen und vier Akrobaten unter der Regie von Vincent Dubé und Patrick Ouellet immer wieder versuchen. Mindestens genauso spektakulär ist es, wenn sie sich fallen lassen. Da winden Maude Arseneault und Naomie Vogt Roby sich an der Vertikalstange, um dann gemeinsam abzustürzen, der Fall kurz vor dem Boden gestoppt.
Das ist schon recht klassische Artistik, die sie da bieten, aber man schaut begeistert zu. Toll, die Partnerakrobatik von Marie-France Huet und Francis Olivier-Girard, wie da der Männerkopf zwischendurch zur Fläche für den Frauenhandstand wird. Atemberaubend, wie Raphaël Dubé von einem Einrad zu einem noch höheren Einrad zu einem noch höheren steigt. Mein Gott, wenn der nach vorne ins Publikum fällt…
Besonders irrwitzig und poetisch-seltsam erscheint einem der Balance-Akt von Damien Descloux: Auf einem großen blauen Ball rollt er über die Bühne, findet zum Stand, trippelt auf ihm über die Bühne. Unterstützt werden solche Stunts durch die tastenflinke, wuchtig geblasene Live-Musik von Jan Dutler, der sich auch als Meister der Loops erweist und das Publikum in manche Kreisläufe heiter einbindet.
Zum großen Finale, das sie als "Zugabe" ausgeben, lassen die Kanadier die Körper noch mal per Katapult hochschnellen, Sebastian Plester, sonst Fachkraft am Diabolo, ist mit dabei. Und während sie springen, ist beim Tankwart etwas in Bewegung geraten. Das Telefon klingelt und er ist sich nicht mehr sicher: Sollte man nicht alte Sehnsüchte loslassen? Wer fällt, wird schließlich von der Gruppe aufgefangen.
Varieté-Theater GOP, Maximilianstraße 47, bis 5. November, Di bis Fr, 20 Uhr; Sa, 17.30 und 21 Uhr; sowie sonntags und feiertags um 14.30 und 18.30 Uhr; www.variete.de Karten % 210 288 444
- Themen:
- Michael Jackson
- Tollwood-Festival