Castingshows: Ansturm auf neue Werte
Wie Castingsendungen Motive und Gefühle von Jugendlichen verändern – die Münchner Medien-Pädagogin Maya Götz warnt und gibt Eltern Tipps
Sie brechen derzeit alle Rekorde, die Castingshows „Germany’s Next Topmodel“ (ProSieben) und „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL). 31098 junge Menschen mit – aber auch ohne – Talent haben sich für die aktuelle Staffel bei Dieter Bohlen beworben, mehr als fünf Millionen Zuschauer schalten Folge für Folge ein. Der Staffelstart von Heidi Klums Model-Nachwuchssuche war mit 3,92 Millionen Zuschauern gar der beste überhaupt. Heute werden sich ab 20.15 Uhr die angeblich schönsten 30 Mädels wieder Klums Urteil stellen. Wer die 35-Jährige nicht überzeugen kann, fliegt.
Superstar oder Supermodel – „als einzelner Mensch herausgehoben zu sein, ist eine ganz typische Kinder- und Jugendfantasie“, erklärt die Münchner Medienpädagogin Maya Götz die ungebrochene Faszination an Castingshows. Das Problem: Sie gaukeln den Kindern vor, Star zu sein, sei eine echte Zukunftsperspektive. „In der Realität aber ist das unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn.“
„Ein noch größeres Problem sehe ich aber in den Werten, die Kinder und Jugendliche aus solchen Sendungen ableiten“, sagt die Leiterin des internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen der AZ. „Die Meinung von Heidi Klum, oder die Art von Dieter Bohlen, mit Menschen umzugehen, wird zum Ideal. Aus pädagogischer Sicht ist es das natürlich eindeutig nicht.“ Eine Befragung des Instituts ergab, dass vor allem Buben sich von Bohlen abschauen, wie man mit Freunden umgehen sollte.
„Sich dabei gegenseitig abzuwerten, sehen sie als selbstverständlich an. Diese Form von Mobbing wird hier zu dem neuen großen Wert, der nicht hinterfragt wird.“ Im Gegenteil: „Bohlen symbolisiert quasi die neue Ehrlichkeit.“
Doch Castingshows haben durchaus auch eine positve Seite: „Kinder sitzen meist gemeinsam mit ihren Eltern davor. ,DSDS’ hat ,Wetten, dass?’ als Familiensendung Nummer eins heute schon ablöst“, sagt Götz. Schön, wenn Eltern und Kinder gemeinsam Zeit verbringen und Spaß haben. Doch das gemeinsame TV-Erlebnis ermöglicht noch viel mehr. „Bei ,Germany’s Next Topmodel’ können Mütter ihren Töchtern beispielsweise klar machen, dass es völlig in Ordnung ist, nicht nur Haut und Knochen zu sein oder eine andere Nase zu haben.“
Gerade anhand von Castingshows lassen sich die Mechanismen medialer Inszenierung gut verdeutlichen. „Allein die Musik, die bei ,DSDS’ unter einen Kandidaten geschnitten ist, sagt mir schon vor seinem Auftritt, ob das ein Star oder einen Loser ist“, so Götz. „Hier wird Realität inszeniert, indem die Musik in mir ein Urteil erzeugt, das Bohlen dann auch ausspricht.“
Was aber, wenn der eigene Nachwuchs zu Bohlen will? „Wenn ein Kind diese Initiative ergreift, ist das erst einmal toll“, stellt Götz klar. „Wir brauchen Kinder und Jugendliche, die etwas wollen und sich trauen.“ Das Schlimmste sei, sie zu entmutigen. „Aufgabe der Eltern wäre es aber, herauszufinden, was sich das Kind tatsächlich erhofft.“ Kann es seine Kreativität nicht auch in der Tanzgruppe oder im Sportverein ausleben?
„Muss es unbedingt das Casting sein, sollten Eltern den Jugendlichen begleiten und hinterher keine Enttäuschung zeigen“, sagt Götz.
„Jetzt ist es ihre Aufgabe, das Schlimmste abzufangen.“
Angelika Kahl
Weitere Tipps zum richtigen Umgang mit den Medien gibt die Initiative schau-hin.info