Caroline Link: "Ich will ehrliche Filme"
„Im Winter ein Jahr“ - Caroline Link hat ein neues Meisterwerk gedreht. Ein AZ-Gespräch mit der Münchner Oscar-Regisseurin.
Eines ist jetzt schon gewiss: „Im Winter ein Jahr“, der neue Film der Münchner Autor-Regisseurin Caroline Link, wird ein cinéastischer Höhepunkt des Kinojahres (Start im November). Ein subtiles Psycho-Drama um eine vom Tod des 18-jährigen Sohnes traumatisierte Münchner Familie (Corinna Harfouch, Hanns Zischler und Karoline Herfurth als Tochter Lilli), die durch die Begegnung mit dem beauftragten Porträtmaler Max (Josef Bierbichler) aus ihrer seelischen Versteinerung erwacht.
Auf dem Filmfestival Toronto hat Links jüngstes Meisterwerk (nach dem 2003 oscargekrönten „Nirgendwo in Afrika“) am 9. September eine Gala-Uraufführung in der Roy Thomson Hall mit 2000 Plätzen. „Wenn die Projektion und die Atmosphäre stimmen“, sagt Caroline Link (44), „dann ist das schon ein irres Erlebnis. Jetzt Freude ich mich schon mal, ich habe so viele Jahre und so viel Herzblut in diesen Film investiert.“
Sie ist eine der Stillen im Land, ein Ausnahme-Talent, das sie schon als Absolventin der Münchner Filmhochschule mit ihrem Debüt, dem Gehörlosen-Drama „Jenseits der Stille“ (Oscar-Nominierung 1995) bewiesen hat. Nach der Kästner-Adaption „Pünktchen und Anton“ (1998) dann der Oscar-Triumph mit der Verfilmung von Stefanie Zweigs autobiografischem Bestseller „Nirgendwo in Afrika“, der Geschichte einer jüdischen Familie, die 1938 aus Nazi-Deutschland nach Kenia flieht. Zur Oscar-Verleihung im März 2003 konnte Link nicht nach Hollywood fliegen, die hat sie in ihrer Haidhauser Wohnung im Fernsehen gesehen, mit dem kranken Baby Pauline im Arm. Und ihr Lebenspartner, der renommierte Filmemacher Dominik Graf, hat damals die ganze Aufregung „verpennt“ nach anstrengendem Drehtag in Köln.
Arbeiten in "konzentrierter Stille"
Aufhebens um ihre Erfolge hat Caroline Link nie gemacht, Partys meidet sie, die Familie geht vor, sie arbeitet am liebsten „in konzentrierter Stille, mit Menschen, die mir vertrauen und denen ich vertraue“. Auf den Oscar angesprochen, wiederholt sie: „Ja, ich Freude mich sehr darüber, es ist toll, das Ding im Wohnzimmer stehen zu haben.“ Das klingt flapsiger als gemeint. Schließlich habe sie „durch diese Anerkennung aus den USA auch viele Drehbücher und Projekte angeboten bekommen, und wäre Pauline nicht so klein gewesen damals, hätte es vielleicht auch geklappt mit einem Film in Amerika. "Aber ich hatte weder die Energie noch die Lust, mit Leuten zu verhandeln, die erst begeistert sind und dich dann knechten.“
Zwei Projekte sind gescheitert. „Auch an der Besetzungsfrage. In den USA haben Star-Schauspieler fast alle Macht. Wenn nicht einer aus der Ranking- Liste von etwa 20 Schauspielern dabei ist, kriegen die Produzenten kalte Füße. Da habe ich lange rumgewurschtelt, es wurde mir einfach zu blöd und wäre nur gut gewesen zum Geldverdienen. Ein wichtiger Aspekt, aber ich will halt ehrliche Filme machen über zwischenmenschlich intensive Verstrickungen, die die Leute berühren, ihnen etwas geben – und die auch etwas mit mir zu tun haben. Mit meinem Blick auf die Dinge, mit erfahrenen Gefühlen.“
Aus Problemen wurde ein Glücksfall
Ein US-Projekt war auch „Im Winter ein Jahr“, die Adaption eines Romans von Scott Campbell. „Der Autor hatte dieselbe Agentur wie ich, seine Familiengeschichte hat mir von Anfang an gefallen.“ Jahrelang arbeitete sie an deutsch-englischen Drehbuchversionen, flog nach New York und Los Angeles, wo sie mit US-Produzent Robert Cort an dem Projekt weiterarbeitete, in der Villa, in der Frank Sinatra starb. „Dann kam das Besetzungs- Debakel. Also beschlossen wir, den Film 2007 in Deutschland zu realisieren, mit vertrauten Produzenten wie Uschi Reich und Martin Moszkowicz, mit einem großartigen Team. Und ohne den Druck in den USA.“
Dass sich Probleme zum Glücksfall wandeln können, zeigt nun „Im Winter ein Jahr“. Die Bostoner Upperclass hat Link unangestrengt in die Münchner Gesellschaft verpflanzt. Denn die Probleme, die diese kunstsinnige Familie hat, sind universell. Wie soll man den Tod des Sohnes, des Bruders verkraften, wenn man Schuldgefühle hat? Wie soll eine Familie funktionieren, deren Mitglieder in Leistungsdruck erstarren?
Zwischen Max (Bierbichler), der ein Porträt der Kinder malen soll, und der 21-jährigen Lilli (Herfurth) baut sich ein Vertrauensverhältnis auf, das Lebenslügen aufdeckt. Der störrische Künstler und die freche Kunststudentin – zwei verwundete Seelen bringen festgefahrene Strukturen ins befreiende Rollen.
„Mich fasziniert der Gedanke“, sagt Caroline Link, „dass man in Notsituationen unerwartet Hilfe bekommt. Der Tod meines Vaters 2005 hat mich tief erschüttert, diese Endgültigkeit, das Wissen, dass ein geliebter Mensch nie mehr zurückkehrt. Jeder, der das erfahren hat, wird vielleicht auch den Film mögen.“
Angie Dullinger