Cancel Culture in München: Richard Wagner in der Musikhochschule unerwünscht?
Vergangene Woche berichtete die AZ von der Absage eines Konzerts durch die Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, Lydia Grün. Es hätte ein Konzert werden sollen zur Feier des bevorstehenden Abschlusses der kritischen Gesamtausgabe der Musikwerke Richard Wagners, die von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften sowie den Forschungsministerien des Bundes und des Freistaats Bayern gefördert worden war und im Schott Verlag erscheint. Die Ausgabe ist im Wesentlichen an der Münchner Hochschule entstanden. Der Germanist und ehemalige Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Dieter Borchmeyer, war von der Fördergesellschaft und dem Schott-Verlag mit der Anfrage beauftragt worden.
Wer für Mauser Partei ergriffen hat, hat schlechte Karten
Begründet hatte Lydia Grün ihre Absage an Borchmeyer in einer E-Mail mit dem Verweis auf die Geschichte des Gebäudes, den ehemaligen "Führerbau". Hier wurde 1938 auch das "Münchner Abkommen" unterschrieben, das die Tschechoslowakei zwang, das Sudetenland an Deutschland abzutreten. Eine Festveranstaltung zu Wagner sei hier, in der Arcisstraße 12, also nur möglich, wenn sie mit "einer ausdrücklich kritischen Auseinandersetzung mit dem Komponisten" und seiner Wirkungsgeschichte einhergehe. "Gerade angesichts der gesamtgesellschaftlichen anti-demokratischen Entwicklungen ist für uns eine solche kritische Auseinandersetzung unbedingt geboten", heißt es in Grüns Antwort. Zum Schluss wird die Mail pikant: "Außerdem möchte und kann ich nicht verschweigen, dass Ihre öffentliche persönliche Positionierung zugunsten des ehemaligen Präsidenten der HMTM, Dr. Siegfried Mauser, ebenfalls in unsere Entscheidung grundlegend eingeflossen ist", heißt es da.
Die Musikhochschule wurde vor einigen Jahren durch einen Skandal erschüttert, in dessen Verlauf der ehemalige Präsident in zwei Gerichtsverfahren wegen sexueller Nötigung zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die er verbüßt hat.
"Bagatellisierer sind nicht willkommen!"
Vor allem im Umfeld der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, fanden sich aber Verteidiger. Lydia Grün wurde auch deshalb zur Präsidentin der Musikhochschule gewählt, um eine Zäsur zur Vergangenheit zu setzen und bisherige Missstände zu beenden. "Positionen, welche die Straftaten von Herrn Dr. Mauser nicht als solche akzeptieren oder diese bagatellisieren, sind an unserer Hochschule nicht willkommen", schrieb Grün an Borchmeyer.
Nun hat sich Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor des Wagner Museums Bayreuth mit einem Brief an die Abendzeitung gewandt, in dem er die Entscheidung der Musikhochschule kritisiert. Hier der Wortlaut seines Schreibens an die Abendzeitung:
Drei Punkte, warum man Richard Wagner diskutieren muss
"Egal wie man zu Wagner stehen mag: Gerade auch aufgrund seiner problematischen Wirkungsgeschichte ist er eine der bedeutendsten deutschen Kulturerscheinungen der Neuzeit. Aber es scheint ja derzeit die fatale Tendenz einer Cancel Culture zu geben, welche die kritische Auseinandersetzung eben gerade nicht führen, sondern aus ideologischem a priori suspendieren möchte. Das Schreiben von Lydia Grün an Dieter Borchmeyer, das mir bekannt ist, scheint leider genau in diese Richtung zu gehen und ist daher in dreierlei Hinsicht erschütternd:
1.) Es geht ja eben gerade nicht darum, Wagner unreflektiert zu feiern, sondern um die kritische Edition seiner Werke, welche überhaupt die Voraussetzung für eine historisch informierte Ideologiekritik ist. Frau Grün scheint Wagner jedoch auf seinen unbestreitbaren Antisemitismus reduzieren zu wollen. Dies aber ist tatsächlich eine ideologische Verengung des kulturhistorisch umfassenden und komplexen Phänomens Wagner.
2.) Gerade die Berufung Frau Grüns auf "gesamtgesellschaftliche anti-demokratische Entwicklungen" offenbart einen wesentlichen Grund hierfür, nämlich den woken Anspruch auf die Deutungshoheit darüber, was demokratisch sei und was nicht. Das aber ist selbst in hohem Maße ideologischer und auch antidemokratischer Jakobinismus. Denn man muss bei aller berechtigten Besorgnis über die AfD, zunehmenden Antisemitismus usf. doch zur Kenntnis nehmen, dass die erschreckende Konjunktur rechtsradikalen und rechtsextremen Gedankenguts ja nicht von ungefähr kommt, sondern eben leider genau das Ergebnis eines demokratischen Prozesses ist, welcher gerade durch die Verweigerung einer politischen Auseinandersetzung befördert wird.
3.) Der Hinweis auf Borchmeyers Engagement für Siegfried Mauser, das man als solches kritisieren mag, das aber mit der Sache rein gar nichts zu tun hat, verstärkt weiter den Eindruck, dass es hier nicht etwa um die Sache geht, sondern um persönliche Ressentiments. Ich nenne sowas ideologisch motivierten Machtmissbrauch.
In summa entpuppen sich die vermeintlich ideologiekritischen Argumente Frau Grüns somit als dem Grunde nach selber in hohem Maße ideologisch motiviert", schreibt Sven Friedrich.