Cancel Culture in München: Richard Wagner in der Musikhochschule unerwünscht?

Sven Friedrich, Leiter des Richard Wagner Museums, findet das Ausschließen Richard Wagners in der Musikhochschule ideologisch und undemokratisch
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Brisanter Ort für eine Veranstaltung zu Richard Wagner: Der so genannte "Führerbau" in der Arcisstraße München, der seit Jahrzehnten die Hochschule für Musik beherbergt.
imago 3 Brisanter Ort für eine Veranstaltung zu Richard Wagner: Der so genannte "Führerbau" in der Arcisstraße München, der seit Jahrzehnten die Hochschule für Musik beherbergt.
Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor des Bayreuther Richard Wagner Museum.
Andrea Forster 3 Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor des Bayreuther Richard Wagner Museum.
Porträtbüste von Richard Wagner des Künstlers Arno Breker beim Festspielhaus Bayreuth
picture alliance/dpa 3 Porträtbüste von Richard Wagner des Künstlers Arno Breker beim Festspielhaus Bayreuth

Vergangene Woche berichtete die AZ von der Absage eines Konzerts durch die Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, Lydia Grün. Es hätte ein Konzert werden sollen zur Feier des bevorstehenden Abschlusses der kritischen Gesamtausgabe der Musikwerke Richard Wagners, die von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften sowie den Forschungsministerien des Bundes und des Freistaats Bayern gefördert worden war und im Schott Verlag erscheint. Die Ausgabe ist im Wesentlichen an der Münchner Hochschule entstanden. Der Germanist und ehemalige Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Dieter Borchmeyer, war von der Fördergesellschaft und dem Schott-Verlag mit der Anfrage beauftragt worden.

Wer für Mauser Partei ergriffen hat, hat schlechte Karten

Begründet hatte Lydia Grün ihre Absage an Borchmeyer in einer E-Mail mit dem Verweis auf die Geschichte des Gebäudes, den ehemaligen "Führerbau". Hier wurde 1938 auch das "Münchner Abkommen" unterschrieben, das die Tschechoslowakei zwang, das Sudetenland an Deutschland abzutreten. Eine Festveranstaltung zu Wagner sei hier, in der Arcisstraße 12, also nur möglich, wenn sie mit "einer ausdrücklich kritischen Auseinandersetzung mit dem Komponisten" und seiner Wirkungsgeschichte einhergehe. "Gerade angesichts der gesamtgesellschaftlichen anti-demokratischen Entwicklungen ist für uns eine solche kritische Auseinandersetzung unbedingt geboten", heißt es in Grüns Antwort. Zum Schluss wird die Mail pikant: "Außerdem möchte und kann ich nicht verschweigen, dass Ihre öffentliche persönliche Positionierung zugunsten des ehemaligen Präsidenten der HMTM, Dr. Siegfried Mauser, ebenfalls in unsere Entscheidung grundlegend eingeflossen ist", heißt es da.

Die Musikhochschule wurde vor einigen Jahren durch einen Skandal erschüttert, in dessen Verlauf der ehemalige Präsident in zwei Gerichtsverfahren wegen sexueller Nötigung zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die er verbüßt hat.

"Bagatellisierer sind nicht willkommen!"

Vor allem im Umfeld der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, fanden sich aber Verteidiger. Lydia Grün wurde auch deshalb zur Präsidentin der Musikhochschule gewählt, um eine Zäsur zur Vergangenheit zu setzen und bisherige Missstände zu beenden. "Positionen, welche die Straftaten von Herrn Dr. Mauser nicht als solche akzeptieren oder diese bagatellisieren, sind an unserer Hochschule nicht willkommen", schrieb Grün an Borchmeyer.

Nun hat sich Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor des Wagner Museums Bayreuth mit einem Brief an die Abendzeitung gewandt, in dem er die Entscheidung der Musikhochschule kritisiert. Hier der Wortlaut seines Schreibens an die Abendzeitung:

Drei Punkte, warum man Richard Wagner diskutieren muss

"Egal wie man zu Wagner stehen mag: Gerade auch aufgrund seiner problematischen Wirkungsgeschichte ist er eine der bedeutendsten deutschen Kulturerscheinungen der Neuzeit. Aber es scheint ja derzeit die fatale Tendenz einer Cancel Culture zu geben, welche die kritische Auseinandersetzung eben gerade nicht führen, sondern aus ideologischem a priori suspendieren möchte. Das Schreiben von Lydia Grün an Dieter Borchmeyer, das mir bekannt ist, scheint leider genau in diese Richtung zu gehen und ist daher in dreierlei Hinsicht erschütternd:
1.) Es geht ja eben gerade nicht darum, Wagner unreflektiert zu feiern, sondern um die kritische Edition seiner Werke, welche überhaupt die Voraussetzung für eine historisch informierte Ideologiekritik ist. Frau Grün scheint Wagner jedoch auf seinen unbestreitbaren Antisemitismus reduzieren zu wollen. Dies aber ist tatsächlich eine ideologische Verengung des kulturhistorisch umfassenden und komplexen Phänomens Wagner.
2.) Gerade die Berufung Frau Grüns auf "gesamtgesellschaftliche anti-demokratische Entwicklungen" offenbart einen wesentlichen Grund hierfür, nämlich den woken Anspruch auf die Deutungshoheit darüber, was demokratisch sei und was nicht. Das aber ist selbst in hohem Maße ideologischer und auch antidemokratischer Jakobinismus. Denn man muss bei aller berechtigten Besorgnis über die AfD, zunehmenden Antisemitismus usf. doch zur Kenntnis nehmen, dass die erschreckende Konjunktur rechtsradikalen und rechtsextremen Gedankenguts ja nicht von ungefähr kommt, sondern eben leider genau das Ergebnis eines demokratischen Prozesses ist, welcher gerade durch die Verweigerung einer politischen Auseinandersetzung befördert wird.
3.) Der Hinweis auf Borchmeyers Engagement für Siegfried Mauser, das man als solches kritisieren mag, das aber mit der Sache rein gar nichts zu tun hat, verstärkt weiter den Eindruck, dass es hier nicht etwa um die Sache geht, sondern um persönliche Ressentiments. Ich nenne sowas ideologisch motivierten Machtmissbrauch.

In summa entpuppen sich die vermeintlich ideologiekritischen Argumente Frau Grüns somit als dem Grunde nach selber in hohem Maße ideologisch motiviert", schreibt Sven Friedrich.

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  • Ennya D. am 16.02.2024 18:21 Uhr / Bewertung:

    Punkt 1: Siegfried Mauser wird von vielen - wie auch von mir - für unschuldig gehalten. Er hat nie ein Geständnis abgelegt und wurde in Aussage-gegen-Aussage-Konstellation abgeurteilt.
    Punkt 2:Zu Lebzeiten Richard Wagners waren sämtliche Produktionen international besetzt - er war nie ausländerfeindlich. Parsifal wurde aufgrund seines ausdrücklichen Bemühens vom jüdischen Dirigenten Hermann Levi uraufgeführt.

    Frau Grüns Haltung kann ich nur als borniert bezeichnen. Ich hatte gehofft, sie könne mehr Größe zeigen und über den Dingen stehen, aber offensichtlich lässt sie sich gehörig seitens der üblichen Verdächtigen unter Druck setzen…

  • Ennya D. am 16.02.2024 12:58 Uhr / Bewertung:

    Punkt 1: Siegfried Mauser wird von vielen - wie auch von mir - für unschuldig gehalten. Er hat nie ein Geständnis abgelegt und wurde in Aussage-gegen-Aussage-Konstellation abgeurteilt.
    Punkt 2:Zu Lebzeiten Richard Wagners waren sämtliche Produktionen international besetzt - er war nie ausländerfeindlich. Parsifal wurde aufgrund seines ausdrücklichen Bemühens vom jüdischen Dirigenten Hermann Levi uraufgeführt.

    Frau Grüns Haltung kann ich nur als borniert bezeichnen. Ich hatte gehofft, sie könne mehr Größe zeigen und über den Dingen stehen, aber offensichtlich lässt sie sich gehörig seitens der üblichen Verdächtigen unter Druck setzen…

  • Anwalt am 14.02.2024 13:54 Uhr / Bewertung:

    Das ist erneut wieder so ein unsäglicher Beitrag von Herrn Friedrich. Erneut wird hier verharmlost und heruntergespielt mit Äußerungen wie: das mag ja schon sein, hat doch aber mit der Sache nichts zu tun.
    Doch, es hat sehr wohl mit der Sache zu tun. Jemand wie Herr Borchmeyer, der seinerzeit Herrn Mauser, einen rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäter verteidigt und die Delikte versucht hat, herunterzuspielen als Kavaliersdelikte, hat nicht nur nichts verstanden, sondern an der Hochschule nichts mehr zu suchen.
    Und Richard Wagner im Führerbau zu zelebrieren, würde zwar sehr gut zu dessen damaliger Grundhaltung zu Juden passen, übersieht aber, dass das Gebäude zwar dasselbe ist wie damals, dessen Nutzung sich aber komplett geändert hat. Hier studieren heute weltoffen junge Menschen aus der ganzen Welt egal welcher Glaubenszugehörigkeit nur der Liebe zur Musik wegen.
    Das wäre wohl unter Richard Wagner keine Selbstverständlichkeit gewesen.
    Bravo Frau Grün für Ihre mutige Entscheidung.

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