Cameron Carpenter in der Isarphilharmonie
Die Isarphilharmonie hat - als Provisorium - im Unterschied zu anderen Konzertsälen keine Orgel. Insofern ist es ein wenig frivol, dort ein Orgelkonzert mit Werken von Johann Sebastian Bach zu veranstalten. Und weil Cameron Carpenter seine International Touring Organ wieder stillgelegt hat, spielte er nun auf einem anderen, an die Lautsprecher des Saals angeschlossenen elektronischen Instrument.
Das ist natürlich nichts für Puristen, aber für die spielt der Amerikaner ohnehin nicht, obwohl er nun längst nicht mehr so flamboyant wie früher in schlichtem Schwarz auftritt. Auch die Spielweise wirkt etwas gezügelt.
Überfliegender Hubschrauber
Das Programm eröffnet die Fantasie und Fuge BWV 537 mit der auch bei Organisten alter Schule unvermeidlichen großen Geste: Der Klangraum will mit tiefstem Pedal, Fortissimo und einigen Effekt-Akkorden erst einmal erobert werden, was bei Carpenter Assoziationen an Hubschrauberüberflüge und Fabriklärm auslöst.
Der in Berlin lebende Amerikaner liebt heftige Crescendi und Decrescendi, die an aggressiv beschleunigende und bei der nächsten roten Ampel heftig bremsende Autofahrer im Stadtverkehr erinnert. Und er liebt es, melodische Linien blubbernd zu verzieren. Das zeugt von großer Fingerfertigkeit, verunklart aber die musikalischen Verläufe. Und mangelnde Klarheit ist ein Problem jeder Orgelmusik.
Kleinteiliges Denken
Manche Stücke registriert er vergleichsweise konventionell mit vollem Werk. Einige Fugen spielte er in extrem hoher Lage, als sei er ein Kunstpfeifer. Generell hat er eine gewisse Vorliebe für schroffe Gegensätze: seraphische Himmelsgesänge bringt er gerne mit schnarrenden Registern zusammen, die an einen Synthesizer erinnern. Bunt ist das immer, aber eine Systematik teilt sich nicht mit.
Die beiden Präludien und Fugen aus dem "Wohltemperierten Klavier" und die Fantasia über "Komm, Heiliger Geist" blieben ununterscheidbar. Erst beim farbig registrierten und als auf- und abwogende Steigerung verstandenen Choralvorspiel "O Mensch, bewein' dein' Sünde groß" wurde die Musik wieder übersichtlicher. Dem Präludium und die Fuge Es-Dur BWV 552 hätte mehr Transparenz gutgetan. Und bei diesem Stück, das einen großen Steigerungsbogen verlangt, zeigte sich Carpenters Schwäche am deutlichsten: Er denkt sehr kleinteilig, weshalb sich die Steigerung der Fuge ins Fortissimo etwas plötzlich ereignete.
Der Zappler
Im zweiten Teil spielte Carpenter die Goldberg-Variationen in einer etwa dreiviertelstündigen Kurzfassung ohne Wiederholungen und mit bisweilen erhöhter Oktave. Das auf diese Weise verstärkte Mosaik dieser Musik kam seiner Spielweise entgegen.
Die tänzerischen Stücke liegen ihm, die Adagio-Variation Nr. 25, bei vielen Pianisten das Herzstück des Zyklus, blieb bei Carpenter eher unauffällig. Auch die letzte Steigerung zum Quodlibet vor der Wiederholung des Themas wirkte arg verzappelt.
Es hat viel für sich, Orgelmusik aus halligen und im Winter eiskalten Kirchen herauszuholen, denn nicht jedes Werk dieses Repertoires ist auch sakral. Und ein bunter Vogel unter den Organisten wäre an sich auch ein Gewinn.
Carpenter hat neben flinken Fingern und Füßen eine große Fantasie. Es ist nur ermüdend, dass er das in jeder Sekunde vorführen möchte.
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