Bunte Vögel des Überdrusses
Der Münchner Hans Pleschinski schickt eine morbide Gesellschaft auf die „Ludwigshöhe“
Wer über den Tod schreibt, schreibt zwangsläufig über das Leben. Auch wenn Hans Pleschinskis Roman „Ludwigshöhe“ vor allem von Lebensmüden, so genannten „Finalisten“ erzählt, nicht in Gestalt wehleidig selbstzentrierter Ich-Banalitätsliteratur, sondern in elegant barocker Form.
Die Grundgeschichte ist so skurril wie makaber: Drei Geschwister erben von einem Onkel aus Südamerika ein Vermögen samt Villa in südbayerischer Bestlage. Wer die Edeltopografie südlich von München kennt, wird – trotz fiktiven Ortes – Ickinger Isarhochufervillen kombiniert mit Ambacher Seeszenerien oder die Rottmannshöhe assoziieren.
Schon der Titel „Ludwigshöhe“ gibt die Fallhöhe vor zwischen traditioneller Pracht und elendig banalem Kini-Ersaufen. Denn das Erbe hat – fast wie bei einem Agatha-Christie-Krimi – einen Haken. Im Testament steht eine bizarre Auflage: Die drei ungleichen Geschwister müssen erst das Anwesen zu einer letzten Stätte für Lebensmüde umwandeln.
Ein Panoptikum seltsamer Lebensentwürfe
Und so machen sich der intellektuell ironische Ulrich, der nicht zufällig Ähnlichkeiten mit dem Autor aufweist, und seine Schwestern ans semikriminelle Werk und sammeln die buntesten Vögel des Lebensüberdrusses ein: Eine Theater-Diva, die das Altern nicht erträgt, eine ausgebrannte Lehrerin, die mit der Verrohung der Schüler nicht mehr zurechtkommt, ein – nicht nur durch zwei Scheidungen – runinierter Verleger, eine kleinbürgerliche Donnersbergerbrücken-Lärmgeschädigte, einen in der Provinz versauerten, komplexbeladenen Bühnenbildner, eine Domina mit gebrochenem Herzen und einen vom Zynismus der oberflächlichen Infogesellschaft zerrütteten BR-Redakteur.
Insgesamt ein zauberhaft morbides Panoptikum heutiger Hypochondrien, berechtigter Lebensängste und Zivilisationsneurosen. Der unterhaltsame Trick Pleschinskis besteht darin, gerade aus der Ansammlung des Negativen letztlich eine überraschend heitere Hausgemeinschaft zu weben, deren ursprünglich gewollte Todesnähe sich in aktionistische Heiterkeit eines Sanatoriums in Bestlage verwandelt – zum Verzweifeln nur noch für die um ihren Geldplan bangenden Geschwister.
Mit ihnen hat der Münchner Glockenbachler Pleschinski typische Repräsentanten von nie ganz im klassischen Lebensentwurf angekommenen, ewig suchenden Mittvierzigern geschaffen. Der Sprachfluss seines Romans ist nur anfangs dadurch gewöhnungsbedüftig, dass als Stilmittel der Dynamisierung die Dialoge frei hin und herwogen, bis man sich im wunderbaren Menschenzoo zurechtgefunden hat.
Dann nimmt die „Ludwigshöhe“ Fahrt auf und man genießt die eingeschobenen Lebens- und Gesellschaftsreflexionen. Sie machen den Roman auf lässige Art weise in ihrer ehrlichen und vergnüglichen Bestandsaufnahme unseres heutigen Zeitgeistes. Und über allem schwebt die Sehnsucht nach Sicherheit und Werten bei gleichzeitiger ewig junger Angst vor dem Verlust der Lust an der unverbindlichen Freiheit.
Adrian Prechtel
„Ludwigshöhe“ (C.H. Beck, 560 Seiten, 24.90 Euro)