Bully-Parade am Rhein

Nibelungenfestspiele: John von Düffels „Das Leben des Siegfried" wird vor dem Westchor des Wormser Doms gespielt. Gil Mehmert inszenierte den Klamauk mit prominenten Darstellern
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Nibelungenfestspiele: John von Düffels „Das Leben des Siegfried" wird vor dem Westchor des Wormser Doms gespielt. Gil Mehmert inszenierte den Klamauk mit prominenten Darstellern

Sitz ich nicht herrlich am Rheine?", ruft es aus Worms. Nibelungen-Intendant König Dieter wedelt dort mit Scheinen oder zumindest einer lukrativen TV-Chance. Welcher Prominente mag da nicht in der ersten Reihe sitzen, wo man mit dem Zweiten besser sieht? Krise hin, GEZ her, Serienmonarch Wedel lädt zu lustigen Lustbarkeiten in idyllischer Parkatmosphäre vor romanischer Domkulisse. Nach sieben „ernsthaften Jahren“, so der diesjährige Festspielautor John von Düffel, will man die Nibelungen als komödiantisches Satyrspiel geben – vor allem der Krise wegen. „Das Leben des Siegfried“ heißt das Werk, das nur dem Namen nach an Monty Python erinnert.

Ein großes Wochenende für die Burgunder am Rhein? Kaum sind die Handschriften des Nibelungenliedes zum Unesco-Weltkulturerbe geadelt, da zerrt Regisseur Gil Mehmert die alten Recken als ungelenke Quatsch-Komödianten mit Wortwitz-ich-such-dich-Soße auf die Freiluftbühne. Ironie des Schicksals? Eine Verwechslungskomödie, wahrlich.

Statt Siegfried erlebt Seefred, den es als Gewürzhändler („Alles, was scharf macht“) anno 492 zur Entdeckung des Seewegs nach Indien treibt, die Abenteuer des Helden aus Xanten. André Eisermann bleiben zwei Minuten für die fast stumme Rolle des Siegfried, eine zu Beginn, eine am Ende des zweistündigen Spektakels. Damit ist der Logik des Erzählrahmens ausreichend genüge getan, meint man. Mathias Schlung spielt den tapsig-gutmütigen Seefred als tumben Toren, Kolumbus, Galilei – und als Bully-Herbig-Parodie. Was, wenn man gar keinen deutschen Helden hat? Wenn man sich zwischen Holiday on Ice, Musical, Erzähltheater, altem Lied, Klamauk, Satire und Comedy nicht entscheiden will? Es bleibt das Wortspiel, die Kulisse, der prominente Darsteller.

Die alten Burgunder sind auf den Hund gekommen

Christoph Maria Herbst ist eingangs schriller Hofmarschall zu Xanten und Comic-Knallcharge, später seriös-unaufgeregter Strippenzieher Hagen. Beides tut er ohne „Stromberg“-Kolorit, letzteres fast mit Zärtlichkeit. Das muss man ihm anrechnen, aber es passt nicht zum Abend, der alles will und nichts kann. Mit einigem Effekt (Bühne: Jens Kilian) bewegt man Schiffe über die bisher unbespielte Seite des Kaiserdomes: die unsinkbare „Teutonic“ und „Ute, die alte Fregatte“, in deren Bauch Kriemhild (Susanne Bormann) schlummert. Seefred spricht „die Vögelsprache“ und kennt „das Niegesungenlied“. Damit kommt er bei Brünhild gut an, die ohnehin keine Lust mehr auf den „Quatsch mit Helden- und Geschlechterkampf“ und in Nina Petri ein tönendes Organ gefunden hat.

„Außersportlich“ trennen sich die sympathischen Schrumpfgermanen in Frieden und geben zum Ländler eine Schlittschuhnummer. Dann zieht Seefred unbeweibt als „Einhandsegler“ (oho!) weiter. Schlimm wird es auf der Ebene „die Deutschen und ihr Nibelungenlied“: Ein Schamhaar klemmt im Keuschheitsgürtel, und aus der „Rüstungskammer“ wird der Speer „Notwehr“ geräumt, weil „die dünne Berta“ wohl nicht zum Heldenmord taugt.

John von Düffel und die Nibelungen sind auf den Hund gekommen, nicht nur textlich, auch buchstäblich. Gernot und Giselher, die beiden – zumindest bei Düffel – nichtssagenden Brüder König Gunthers (Gustav Peter Wöhler) sind zu Königspudeln mutiert. Immerhin haben sie die hübschesten Kostüme (Steffi Bruhn) und bringen das „Krönchen“ (so heißt der getrimmte Kopfschmuck) quasi artgerecht mit. Des Häkelpudels Kern war früher ein Piccolosekt, aber hier stecken keine Flaschen drin. Mark Weigel und Thorsten Krohn beleben die Wollwirkwaren ebenso fantasievoll wie das Federkleid der beiden stelzbeinigen Brünnhilden-Raben namens „Udo“ und „Jürgens“, singen Liedchen und vollführen open-air-taugliche Kunststückchen als willkommene Ablenkung. Dann schnappt die emotionale Kitschfalle mit Genius-loci-Faktor zu: Rot färbt sich der Dom, gesammelt spricht das Ensemble: „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit ...“ Zuhauf strahlen Deutschlands Nachrichten-Moderatoren applaudierend in die Kameras - kein Wunder, das alte Lied eben.

Ralf-Carl Langhals

Bis 16. August, täglich 21 Uhr, Karten www.nibelungenfestspiele.de, Tel.01805/337171

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