"Ziemlich beste Freunde" - die AZ-Kritik
München - Ob er Berlioz kenne, fragt der musikbegeisterte Schöngeist den Bewerber. Na klar, meint der, er kenne da jede Straße. Berlioz ist für den einen ein heruntergekommenes Pariser Stadtviertel, für den anderen ein französischer Komponist, der den „Faust“ vertont hat. Doch die Missverständnisse zwischen dem Rollstuhlfahrer aus bestem Hause und dem arbeitslosen Ex-Knasti haben bald ein Ende. Schnell wissen beide, dass sich da zwei gefunden haben, die jenseits aller Unterschiede im sozialen Milieu, in körperlichem Zustand und in der Hautfarbe zusammen gehören.
Ein Schlossherr findet einen gleichgesinnten Kindskopf
Das ungleiche Paar spielen der TV-Star Sigmar Solbach und der Wiener Theaterschauspieler Peter Marton in der Komödie im Bayerischen Hof, als wären sie schon immer „Ziemlich beste Freunde“ gewesen. Die Latte hängt hoch: Jeder, der den vielfach ausgezeichneten Film gesehen hat, dem blieben die Bilder voll herzerfrischendem Humor bei tief humaner Botschaft im Sinn.
Doch das Spektakel, das das Kino kann und von dem die Filmemacher Olivier Nakache und Eric Toledano 2011 sehr unterhaltsam Gebrauch machten, vermisst man in der sensiblen, aber nie rührseligen Inszenierung der Schweizerin Pia Hänggi nicht einen Moment lang.
Besonderen Reiz erhält die Geschichte auch durch seine Authentizität. Das Drehbuch und noch stärker die Bühnenfassung des Berliner Autoren Gunnar Dreßler basieren auf den Autobiografien des ehemaligen Champagnerkellerei-Chefs Philippe Pozzo di Borgo, der seit einem Unfall beim Paragliding vom dritten Halswirbel abwärts gelähmt ist und einen hohen Verschleiß an Pflegehelfern hatte, und dem algerischen Migranten Abdel Yasmin Sellou, der nur eine Unterschrift haben wollte, um dem Arbeitsamt seine Bemühungen um einen Job zu dokumentieren.
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Jetzt hat er den Job: Der Arbeitsplatz ist ein schlossartiges Anwesen, der Arbeitgeber sitzt völlig bewegungslos in einem High-Tech-Rollstuhl im Wert eines gut ausgestatteten Mittelklassewagens und muss oral ernährt und anal gesäubert werden. Die gute Chemie zwischen dem gelähmten Philippe und dem quirligen Driss entsteht vor allem, weil zwei Kindsköpfe aufeinander treffen. Philippe hat nichts anderes, als sein spitzbübisches Mienenspiel, Driss rapt sich frech und spielerisch durch die seltsame Welt der Superreichen und Schwerstkranken.
Der Schwerbehinderte lässt sich von der unverbildeten Vitalität anstecken, denn vor seinem Unfall war er wohl ein ähnlicher Charakter, wenn auch mit höherer Bildung und teureren Klamotten. Blitzschnell erkennt er, wie er Driss an sich binden kann. Und der hypermotorische Macho beißt gerne an, zumal es da noch die dralle Assistentin Magalie (Kerstin Gähte) gibt, deren energiegeladene Strenge das erotische Interesse von Driss nachhaltig weckt. Dem verständnislosen bis verstörten Umfeld aus Familie und Geschäftspartnern, ulkig unsympathisch gespielt von Ulla Wagener, Lutz Reichert und Armin Riahi, erklärt er einmal seine komplizierte Zuneigung zu seinem ziemlich besten Freund: „Er ist mein Schutzteufel“.
Komödie im Bayerischen Hof, bis 7. Mai, 20 Uhr, Telefon 29161633