Entscheiden, wer Maria Stuart im Residenztheater spielt

München - Wer auf der Sonnen- und wer auf der Schattenseite des Lebens steht - das kann manchmal purer Zufall sein. In Friedrich Schillers Drama "Maria Stuart" (1800) sind die Fronten eigentlich klar: Die schottische Königin Maria Stuart flieht nach England, weil sie unter Verdacht steht, die Ermordung ihres Gatten initiiert zu haben. Bei ihrer Tante Elisabeth, der Königin von England, findet sie jedoch kein Asyl, sondern wird eingesperrt, weil Elisabeth befürchtet, dass Maria ihr die Krone streitig machen könnte.
Maria soll hingerichtet werden; Elisabeth zögert, das Todesurteil zu unterschreiben. Nora Schlocker inszeniert den Klassiker nun im Residenztheater, mit Pia Händler und Lisa Stiegler in den Hauptrollen.
AZ: Frau Händler, Frau Stiegler, laut Ankündigung haben Sie jeweils beide Rollen, also Maria Stuart und Königin Elisabeth, einstudiert. Vor jeder Vorstellung wird ausgewürfelt, welche Rolle Sie jeweils an dem Abend spielen. Wer würfelt das aus?
PIA HÄNDLER: Wir haben im Lauf der Probenzeit einige Varianten ausprobiert. Letztlich haben wir uns darauf geeinigt, dass dieses Zufallsverfahren zunächst von der Männergruppe, die Maria und Elisabeth umgibt, durchgespielt wird. Sie sind zwei Frauen in Machtpositionen, aber innerhalb eines männlichen Systems - obwohl, so, wie wir auf die Bühne kommen, befinden wir uns eher auf einem anderen Stern.
LISA STIEGLER: Die Männer versuchen unter sich auszumachen, wer von uns was spielt, aber irgendwann wissen sie nicht weiter. Dann kommt das Publikum ins Spiel.

Eigentlich sind beide Figuren konträr: Im Ankündigungstext auf der Resi-Webseite wird Maria als "impulsive Verführerin" bezeichnet, Elisabeth als "eifersüchtige und entscheidungsscheue Regentin".
STIEGLER: Womit typische Zuordnungen, die man gegenüber Frauen vornimmt, reproduziert werden. Entscheidend ist doch die unterschiedliche Situation der beiden: Maria ist eine Königin, die wegen eines vermuteten Rechtsbruchs im Kerker sitzt; Elisabeth eine Königin, die auf dem Thron sitzt und über Marias Schicksal entscheiden kann. Weil sie aber Frauen sind, wird ihr Unterschied darauf heruntergebrochen, dass Elisabeth die "jungfräuliche Königin" ist und Maria so verführerisch sein soll, dass ihr alle Männer verfallen. Diesen Unterschied haben wir bei den Proben aber kaum untersucht.
Elisabeth wirkt zumindest recht selbstbestimmt, weil sie sich weigert, einen Mann zu heiraten.
HÄNDLER: Dadurch kann sie ihre Machtposition halten. In dem Moment, in dem sie heiratet, würde ihr Gatte diese Position übernehmen, was sie nicht will. Zudem wird von ihr erwartet, dass sie königliche Nachfahren zeugt. Ihr scheint das aber gar nicht wichtig zu sein: Sie will vor allem regieren.

Was sie vielleicht mit Maria Stuart gemein hat.
HÄNDLER: Ja, beide eint, dass sie in einer Welt leben, in der Macht für Frauen eigentlich nicht vorgesehen ist. Beide wurden aber in solche Positionen hineingeboren und müssen nun aushandeln, welche von ihnen dieses eine Stück vom Kuchen bekommt. Was vor allem zeigt, …
STIEGLER: … dass es zu wenig Kuchenstücke gibt. Es stellt sich auch die Frage, wie Maria sich an Elisabeths Stelle verhalten würde. Würde sie nicht genauso wie Elisabeth handeln, weil für sie die politischen Zwänge dieselben wären? Welchen Handlungsspielraum haben die beiden überhaupt?
Insofern macht das Konzept, dass Sie beide jeweils beide Figuren verkörpern können, Sinn.
STIEGLER: Ja. Dadurch haben wir auch bei den Proben genauer darauf gehört, was Maria und Elisabeth sagen, dass es durchaus Parallelen zwischen ihnen gibt. Ich habe auch das Gefühl, dass die beiden ein gutes Verständnis dafür haben, in welcher Situation die andere gerade steckt.
Wie haben Sie diese Rollen jeweils gelernt?
HÄNDLER: Ich habe den Text einfach chronologisch gelernt.
STIEGLER: Ich auch.
HÄNDLER: Im ersten Akt kommt eigentlich nur Maria vor, im zweiten Akt vor allem Elisabeth. Dadurch konnte ich diese Texte relativ einfach hintereinander lernen. Wenn man in einem Stück zwei oder mehrere Rollen spielt, ist das ja ähnlich - da wechselt man beim Lernen auch die Positionen.
Wie schaffen Sie aber eine Trennschärfe zwischen den Figuren?
STIEGLER. Bei mir ist es immer so, dass die Figur durch den Text, den sie spricht, entsteht.
HÄNDLER: Ja, die Figur kommt durch den Inhalt. Die Maria, die ich spiele, unterscheidet sich dabei natürlich automatisch von der Maria, die Lisa spielt, aber indem wir bei den Proben die andere von unten beim Spielen beobachtet haben, konnten wir gemeinsam Dinge herausfinden, die zwar jede für sich anders interpretiert, aber für uns beide interessant sind.
STIEGLER: Das ist das Schöne an diesem Projekt: Wir stellen auf der Bühne Kontrahentinnen dar, aber als Schauspielerinnen haben wir stark kooperiert. Wir haben uns zu zweit um diese Figuren gekümmert.

In einer zentralen Szene treffen Maria und Elisabeth aufeinander…
HÄNDLER: Da hatte ich das Gefühl, dass es besser ist, wenn ich erst Elisabeths Text lerne. Damit hatte ich ein Gerüst, in das ich dann Marias Texte gesetzt habe.
STIEGLER: Ich habe das hingegen wie einen großen Monolog gelernt. Einmal, als Pia bei einer Probe nicht anwesend war, habe ich den ganzen Text durchgespielt, als eine Art Zwiegespräch mit mir selbst.
Klingt praktisch: Falls eine mal ausfällt, kann die andere beide Rollen gleichzeitig spielen.
HÄNDLER: Ja, aber das wäre, glaube ich, nicht im Sinne dieses Experiments.
Bei den Zweierszenen können Sie sich gegenseitig perfekt soufflieren.
HÄNDLER: Ja.
STIEGLER: Haben wir auch gemacht. Das ist besser, als sich den Text von unten zurufen zu lassen.
Die Vorlage von Schiller wurde hoffentlich eingedampft?

BEIDE: Ja.
Wie war das bei den Proben: Wurde vor jedem Probentag bestimmt, wer welche Rolle spielt?
HÄNDLER: Am Anfang haben wir da so gemacht: dass wir gesagt haben, ich spiele heute Maria, du Elisabeth, je nachdem, auf welche Rolle wir gerade mehr Lust hatten. Später haben wir die Regie entscheiden lassen. Dabei haben wir auch teilweise während einer Probe die Rollen gewechselt.
Ketzerische Frage: Gibt es eine Rolle, die Sie jeweils lieber mögen?
HÄNDLER: Ich habe mir gesagt, wenn ich bei diesem Experiment mitmache, muss ich mich auch wirklich darauf einlassen. Die zwei Rollen müssen mir so gut gefallen, dass ich auf beide jeden Abend Lust habe.
STIEGLER: Allein schon sprachlich haben Maria und Elisabeth so tolle Passagen, dass man sich auf beide freuen kann.
Nora Schlocker ist kurz vor der Premiere krank geworden, Alexander Eisenach hat die Endproben übernommen. Die Regie wurde also auch getauscht - was zu diesem Projekt auf gewisse Weise passt.
HÄNDLER: Ja, es passt, weil die Dinge geteilt werden. Es gehört einem nämlich nichts wirklich. Wenn die Regie nicht einer Person gehört, bekommt sie vielleicht auch einen gewissen Abstand zu sich selbst. Letztlich geht es ja um Zusammenarbeit. So ging es uns immer wieder bei den Proben: Wenn Maria oder Elisabeth ein Satz gestrichen wurde, war uns immer klar, dass uns das beide betrifft.
STIEGLER: Einmal hat eine von uns gesagt: Kannst du bitte diesen Satz verteidigen? Ich habe gerade keine Kraft dazu. Aber wir sollten diesen einen Satz, diesen einen Moment auf jeden Fall bewahren.
Residenztheater, Premiere am 17. Mai, 19.30 Uhr (Premiere), So, 18.30 Uhr, Karten unter 2185 1940