Willkommen im Albtraum

Premiere im Nationaltheater: Der französische Bariton Ludovic Tézier über Verdis „La forza del destino“, seine Kollegen Anja Harteros und Jonas Kaufmann und den Winter in München
von  Robert Braunmüller

In Giuseppe Verdis „La forza del destino“ will Leonora mit ihrem Geliebten Alvaro fliehen. Sie werden von ihrem Vater ertappt. Alvaro zieht eine Pistole und wirft sie auf den Boden, um den Streit beizulegen. Dabei löst sich ein Schuss: Der Marchese stirbt und verflucht das Paar, Leonoras Bruder Carlo verfolgt Alvaro und Leonora von nun an mit unerbittlichem Hass.

AZ: Herr Tézier, dieser Carlo ist Verdis größter Finsterling. Was spricht für ihn?

LUDOVIC TEZIER: Die Sympathien des Zuschauers liegen eindeutig beim Tenor, weil das Publikum im Unterschied zu Carlo weiß, dass Alvaro unschuldig ist. Carlo muss die Ehre seiner Familie wiederherstellen. Er will Alvaro nicht umbringen: Sein Ziel ist ein Duell – und das ist immer eine Sache mit offenem Ende. Am Ende fehlt beiden der Wille zum Kampf.

Gibt es in der Oper eine „Macht des Schicksals“?

Viele Opern könnten so heißen. Man kann daran glauben oder nicht. Aber wir alle wissen, dass im Leben seltsame Dinge passieren. Martin Kušejs Inszenierung konzentriert sich ganz auf Leonora: Wir erleben die Geschichte als ihren Albtraum.

Sie sind Franzose. Man muss lange zurückdenken, bis einem einer Ihrer Landsmänner als Verdi-Bariton einfällt.

Umgekehrt gefragt: Wann hat es je einen deutschen Sänger gegeben, der die Titelrolle von Massenets „Werther“ auf Französisch so gut singt wie Jonas Kaufmann? Das ist Schicksal – oder Zufall.

Es ist schon erstaunlich, dass mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros zwei Deutsche als Verdi-Traumpaar gelten.

Es gibt heute eine neue Generation von Sängern mit großartigen Stimmen, die stilsicher mit jedem Repertoire klarkommen. Kaufmann und Anja Harteros sind die Besten davon. Auch für mich wäre es traurig, wenn ich nur französische Rollen singen könnte: Ich mag das ganze internationale Menü, nicht nur Cassoulet oder Choucro ute. Außerdem ist Verdi als Franzose geboren.

Das Herzogtum Parma gehörte in seinem Geburtsjahr 1813 zu Frankreich.

Natürlich war Giuseppe Verdi hundert Prozent Italiener. Aber er besaß Universalität und hat einige Opern in französischer Sprache vertont, wie Donizetti vor ihm. Der erste Jago in „Otello“ und der erste Falstaff war Victor Maurel – er stammte übrigens aus Marseille wie ich.

Woher können Sie so gut deutsch?

Als junger Sänger habe ich mich sehr für Liedgesang interessiert. Ich wollte die Stücke genau verstehen – und das geht bei Schubert und Schumann nicht ohne Kenntnisse der deutschen Sprache. Meine Bewunderung gehört Sängern wie Heinrich Schlusnus oder Hans Hotter, bei denen jedes Wort verständlich war. Und ich habe bei Christa Ludwig studiert.

Lässt sich das bei Verdi einbringen?

Verdi ist der Schubert der Oper – nicht in dem Sinn allerdings, dass man ein Kraftstück wie die Arie „Eri tu“ als Lied säuselt. Das Orchester ist ja auch noch da. Aber Verdis Musik ist stark mit dem Text verbunden, und deshalb lassen sich hier viele Farben einsetzen.

Es ist Winter – ich bin erkältet. Wie gehen Sie als Sänger mit dieser Jahreszeit um?

Auch für mich ist das eine schwierige Zeit. Die trockene Kälte der letzten Tage ist mir aber lieber, als draußen Hitze und drinnen auf 18 Grad herunterklimatisierte Räume.

Kriegen Sie bei Proben viel von der Stadt mit?

Ich war im Sommer mit meiner Familie hier, als ich in „Don Carlos“ eingesprungen bin. Dabei haben wir die Region zwischen Salzburg, dem Isarwinkel und Neuschwanstein entdeckt und lieben gelernt. Ich fühle mich wohl und mag die Stadt und ihre Weihnachtsmärkte. Diese Produktion von „La forza del destino“ ist ein guter Moment meines Lebens als Sänger. Chor und Orchester heißen einen willkommen. Wie sagt man in meiner Heimat? „Es rollt ins Öl.“

Die Premiere am Sonntag, 18 Uhr, und die Folgevorstellungen sind ausverkauft. Die Aufführung am 28. 12. wird auf www.bayerische.staatsoper.de ins Internet übertragen

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