Wie antisemitisch ist der Peachum in "Mackie Messer", der Salzburger "Dreigroschenoper"?
Ein Mann im unbestimmten väterlichen Alter. Ein langer Mantel, der entfernt an einen Kaftan erinnert. Ein struppiger, roter Vollbart und lange Haare. Seine seltsame Weise zu sprechen macht ihn zum einzigen Fremden.
Das sind szenische Zeichen, die für sich allein unschuldig sind. Der Schauspieler Graham F. Valentine spricht wie immer. Er ist privat rothaarig und hat eine ausdrucksvolle Nase. Aber zusammengenommen ergeben diese Theaterzeichen auf der Bühne einen Juden.
In diesem Kostüm spielt Valentine die Rolle des Jonathan Jeremiah Peachum in „Mackie Messer“ bei den Salzburger Festspielen – einer „einmaligen Experimentalfassung“ von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“, die am Dienstag Premiere hatte.
Das alte Stereotyp
Ist Peachum Jude? Bei Brecht nicht. Da ist er Kapitalist. Ein Unternehmer, der das Geschäft der organisierten Bettelei betreibt. Außerdem ist er geizig und hinterhältig.
Wenn man dieser Figur die Theaterzeichen eines Juden anklebt, erhält man ein antisemitisches Stereotyp: das Klischee vom jüdischen Kapitalisten.
Die Inszenierung von Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf in der Felsenreitschule verlegt die „Dreigroschenoper“ ins 19. Jahrhundert – in die Zeit der Romane von Charles Dickens. Sie spielt irgendwo zwischen „Jack the Ripper, Oliver Twist, Sherlock Holmes und Königin Viktoria“, wie Bechtolf im Programmheft sagt.
Da der Regisseur ausdrücklich „Oliver Twist“ erwähnt, müsste er wissen, dass der jüdische Hehler Fagin in illustrierten Ausgaben, Dramatisierungen und Verfilmungen dieses Romans ganz ähnlich aussieht wie der Peachum in seiner Inszenierung. Und diese Assoziation ist kein Zufall, sondern naheliegend: Fagin verfolgt ein ähnliches Geschäftsmodell: Er managt eine Diebesbande von Straßenjungen.
Fagin gilt als eine der übelsten Judenkarikaturen der Weltliteratur. Dickens hat den Antisemitismus später abgemildert. In den neueren Bearbeitungen als Jugendbuch wird er unter den Teppich gekehrt.
Dennoch: Die Gleichsetzung von Fagin mit Peachum verstärkt den Eindruck, dass in der Salzburger „Dreigroschenoper“ eine Judenkarikatur auftritt. Und sei es aus Schludrigkeit.
Ein Quäker? Ein Patriarch?
So stand es in unserer gestrigen Kritik. Daran muss auch einen Tag später nichts zurückgenommen werden. Es handelt sich auch nicht um private Asssoziationen oder gar eine Überempfindlichkeit. Sondern eine dichte Häufung von Theaterzeichen und fataler Traditionen, die auf den Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ zurückgehen. Und ganz neu wäre die Idee auch nicht: Der Regisseur Hansgünther Heyme bekam 1975 Ärger mit den Brecht-Erben, weil er Peachum als Juden auftreten ließ.
Allerdings: Die Wahrnehmung einer Inszenierung und die Absichten des Regisseurs sind zwei Paar Stiefel. Es ist kein Vergnügen, einem Bechtolf anzukreiden, er würde auf der Bühne Antisemitismus betreiben. Der Interims-Intendant der Festspiele wird ohnehin von der Kritik so sehr gebeutelt, dass er einem fast leid tun kann.
Ich habe die Salzburger Festspiele am Mittwoch um eine Stellungnahme gebeten. Leider hat sich Bechtolf erst nach Redaktionsschluss gemeldet. Der Regisseur erklärte unmissverständlich, dass er jeden Antisemitismus verabscheue. Er könne meine Assoziationen nicht nachvollziehen. Peachum sei in seiner Sicht kein Jude, sondern ein typischer Patriarch. Vielleicht ein Quäker. Wenn aber weitere Zuschauer die Darstellung des Peachum als antisemitisch empfänden, würde er die Inszenierung ändern.
Das sind klare Worte. Sie sind ernst zu nehmen. Doch der unangenehme Beigeschmack bleibt.