„What They Want To Hear“ von Lola Arias

„What They Want To Hear“: An den Kammerspielen inszeniert Lola Arias die Anhörung von Asylbewerbern
von  Mathias Hejny
Raaed Al Kour im Vordergrund spielt sich selbst, denn der syrische Psychologe hat die ganze Asylantragsprozedur selbst durchlaufen. Im Hintergrund.
Raaed Al Kour im Vordergrund spielt sich selbst, denn der syrische Psychologe hat die ganze Asylantragsprozedur selbst durchlaufen. Im Hintergrund. © Thomas Aurin

„What They Want To Hear“: An den Kammerspielen inszeniert Lola Arias die Anhörung von Asylbewerbern.

Mit der Frage, ob sie sich vorstellen könne, einmal ein ganz traditionelles Theaterstück zu inszenieren, kann man Lola Arias zum Lachen bringen. Und sie fühlt sich ein bisschen wie zu Hause: „Mein Mann fragt mich immer wieder, wann ich endlich einmal einen Tschechow mache. Das würde mir manches leichter machen. Aber es ist nicht das, was ich machen will. Vielleicht, wenn ich mal sehr, sehr alt bin“. Die Argentinierin sucht sich ihre Themen nicht in der Literatur, sondern findet ihre Quellen in den Nachrichten und Dokumenten der Gegenwart oder der jüngeren Vergangenheit.

Beim letztjährigen Spielart-Festival gastierte sie mit ihrer international stark beachteten Produktion „Minefield“. Die AZ lobte damals die „kluge, punktgenau inszenierte Performance“, für die Arias sechs Veteranen des Falkland-Krieges von 1982 dazu brachte, gemeinsam aufzutreten: Zwei Briten und ein Nepalese auf seiten des Vereinigten Königreichs, drei Argentinier auf der gegnerischen Seite. Auch in solch einem Stoff kann viel Tragödisches von Shakespeareschem Format liegen.

Ihre jüngste Arbeit für die Münchner Kammerspiele steht eher Kafka nah. Der authentische Fall, von dem sie ausgeht, ist der syrische Psychologe Raaed Al Kour. Er floh 2013 aus seinem Heimatland und steckt, so schildert die Regisseurin, „seither fest in einem bürokratischen Alptraum“.

Die Kunst des Geschichtenerzählens

Der Asylbewerber war nicht nur an der Entstehung von „What They Want To Hear“ beteiligt, sondern steht auch selbst auf der Bühne. Die anderen Darsteller sind überwiegend Mitglieder des von den Kammerspielen gegründeten Open Border Ensembles, das von Exilanten aus dem Nahen Osten gebildet wird. Michaela Steiger stammt hingegen aus Garmisch-Partenkirchen.

Anlass für dieses Projekt, das heute in der Kammer 1 uraufgeführt wird, war Zeitungslektüre. Lola Arias las einen Artikel über die Anerkennungspraxis des BAMF, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Sie nahm nicht nur zu Flüchtlingen Kontakt auf, sondern auch zu Mitarbeitern des BAMF, freiwilligen Helfern, betroffenen Anwälten und Richtern. Bei der Recherche erkannte sie, dass das Gespräch zwischen dem Antragsteller, dem Entscheider und dem Übersetzer der zentrale Teil des Asylverfahrens ist.

Diese Begegnung entscheidet über die Zukunft. Aber „es ist sehr schwer, alle diese Fragen zu beantworten. Die Menschen kommen gerade aus dem Krieg, verstehen die Sprache nicht und kennen die Kultur nicht“. Keiner der Flüchtenden weiß, was sein Gegenüber von ihm erwartet. Welche Geschichte will er hören? „Wer hierher kommt, hat nur seinen Körper und seine Geschichte“, erklärt Arias und fährt fort: „Wer der bessere Geschichtenerzähler ist, hat die besseren Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden. Ehrenamtliche Helfer haben mir erzählt, dass sie deswegen die Anhörung mit Geflüchteten proben“.

Niemand wagt den ersten Schritt

Deshalb gehe es bei dieserm Projekt, fasst Arias zusammen, „um die Kunst des Geschichtenerzählens“. Die Spielvorlage für „What They Want To Hear“ ist inspiriert von den Gesprächsprotokollen, die bei Raaed Al Kours Anhörungen im BAMF entstanden. Es ist das zweite Projekt von Lola Arias an den Kammerspielen nach „Familienbanden“ aus dem Jahr 2009, dem letzten Jahr der Intendanz Fank Baumbauers. Mit Matthias Lilienthal verbindet sie ein langjähriges Zusammenwirken am Berliner HAU.

Wenig Verständnis hat die nicht nur als Regiesseurin, sondern auch als Filmemacherin und Buchautorin erfolgreiche Künstlerin für den Stand der aktuellen Debatte in der Asylfrage. Besonders „absurd“ sei der Dublin-Vertrag, mit dem der Asylantrag dort gestellt werden muss, wo der Flüchtende zum ersten Mal die EU betritt. „Er muss modifiziert werden“, fordert Arias. „Das wissen alle, aber niemand wagt den ersten Schritt“.
   
Münchner Kammerspiele, Kammer 1, Premiere heute, nächste Vorstellungen 27. Juni, 3., 12., 16., 23. Juli, 20 Uhr, Karten unter Telefon 233 966 00

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