"Wer immer hofft, stirbt singend" in den Kammerspielen: Kluges Stars in der Manege

Jan-Christoph Gockel entdeckt in "Wer immer hofft, stirbt singend" den Filmemacher Alexander Kluge als Theaterautor.
von  Robert Braunmüller
Julia Gräfner (links) und das Ensemble des Reformzirkus Peikert samt Elefant in den Kammerspielen.
Julia Gräfner (links) und das Ensemble des Reformzirkus Peikert samt Elefant in den Kammerspielen. © Maurice C. Korbel

München - Irgendwie kommt einem der weibliche Paradiesvogel ebenso bekannt vor wie die Kamera, die Verborgenes aus der Kantine und dem Zirkuswagen auf die Bühne überträgt. Und gab's da nicht mal einen Filmregisseur, der in seinen Theaterarbeiten allerlei Freaks auftreten ließ und meistens auch selbst mitwirkte?

Aber ehe "Wer immer hofft, stirbt singend" im Schauspielhaus der Kammerspiele so richtig beginnt, erscheint noch der Regisseur Jan-Christoph Gockel und stellt - neben den Mitwirkenden - einen frisch reparierten Hai vor, den er angeblich aus einer Inszenierung von Frank Castorf aus der Bayerischen Staatsoper entliehen habe. Der von ihm getragene Smoking sei ein Überrest von Luc Percevals "Othello", der rote Vorhang gehe auf Dieter Dorns "Faust"-Inszenierung zurück.

Ein älterer Abonnent in den vorderen Reihen setzt eine Kennermiene auf und schnalzt genießerisch mit der Zunge. Der Abend ist damit ab sofort zum Erfolg verurteilt. Christoph Schlingensief bleibt auch im weiteren Verlauf zwar unerwähnt, aber wer Castorf dazuaddiert und das Ganze dann durch eine Dramaturgie teilt, die alles allzu Überbordende auf 120 stringente Minuten gezähmt hat, bekommt eine gute Vorstellung, was ihn bei dieser "Reparatur einer Revue" in den Kammerspielen erwartet.

"Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" als Vorlage

Gockels Vorlage ist der Film "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" von Alexander Kluge, der sich am Ende dieser Nachfeier zu seinem 90. Geburtstag auch auf der Bühne des Schauspielhauses bejubeln ließ. Der Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller, Drehbuchautor, Philosoph und Rechtsanwalt hielt sich - jenseits von Interviews mit Theaterleuten - ein Leben lang von der Bühne fern.

Julia Gräfner als Leni Peikert.
Julia Gräfner als Leni Peikert. © Maurice C. Korbel

Und auch auf der Gegenseite hat man bisher - auch wegen der collagierten Bildsprache - seine Stoffe nie für Theatertexte gehalten - offenbar ein Irrtum. Denn der Film aus dem Jahr 1968 erweist sich in Gockels Version sehr wohl als geeignete Vorlage für ein prinzipielles Nachdenken über den Fortschritt im Allgemeinen und das Verhältnis von Abbild und Wirklichkeit.

Julia Gräfner hat zwar nicht die geringste Ähnlichkeit mit Kluges eher stiller Hauptdarstellerin Hannelore Hoger. Aber das wird in einem kleinen Video, das beide Damen aufeinandertreffen lässt, auch nicht verschwiegen.

"Wer immer hofft, stirbt singend" legt hohes Tempo vor

Gräfner verwandelt die theorieversessene Zirkusreformerin in eine Wuchtbrumme, die Widerständen mit hoher Sprech- und Denkgeschwindigkeit zermalmt. Am Ende muss sie allerdings resignierend erkennen, dass sie nicht ihren eigenen Traum verwirklichte, sondern den ihres Vaters. Da sitzt sie dann, nach der Verwandlung in einen Paradiesvogel, melancholisch auf einem Sofa dem Udo-Jürgens-Schlager "Der Zirkus darf nicht sterben" lauschend, während hinter ihr kaltschnäuzig Bühnenarbeiter professionelle wie Entrümpler den Zirkus beseitigen. Dessen Zauber wird zuvor mit Prospekten, Maschinen und allen weiteren Ressourcen szenischer Kindergeburtstage entfesselt (Bühne: Julia Kurzweg). Gräfner tritt als Feuerschluckerin auf, zuvor werden wir Zeugen des tödlichen Unfalls von Leni Peikerts Vater am Hochseil. Johanna Eiworth legt als Dompteuse ihren Kopf in den Rachen eines Krokodils des Puppenbauers Michael Pietsch. Außerdem macht ein Lama genau das, was man von ihm erwartet: Es spuckt einen Schauspieler nass und dreht sich bei dieser Gelegenheit auch kurz ein wenig in Richtung Zuschauerraum.

Das hohe Tempo der Aufführung lässt wenig Zeit, über Kluges dichte Sentenzen nachzudenken. Am Ende wird die Zirkusreformatorin vom öffentlich-rechlichen Rundfunk geschluckt und zur Wirkungslosigkeit verdammt. Mit diesem höhnischen Schluss kann Gockel wenig anfangen. Dabei wäre es eine Überlegung wert, warum diese schon vor 50 Jahren für scheintot gehaltene Institution immer noch munter weiterlebt. Das rauscht etwas zu flott durch, während der theatereigene Traditionalismus unter Verwendung des leicht abgewandelten Kluge-Buchtitels "Kantine und Eigensinn" in Video-Übertragungen aus der rückseitigen Gaststätte sehr wohl angesprochen wird.

Jan-Christoph Gockel (im Smoking) mit Alexander Kluge beim Schlussapplaus in den Kammerspielen.
Jan-Christoph Gockel (im Smoking) mit Alexander Kluge beim Schlussapplaus in den Kammerspielen. © RBR

Die politische Reflexion anhand einer aus dem Bühnenhimmel herabschwebenden und eine Trampolin-Nummer aufführenden Atombombe bleibt etwas zu dünn. Dann tanzt Johanna Kappauf als "Engel der Geschichte" auf dem Hochseil. Während der Rezensent sich fragt, ob's nicht mal ohne diese zum Kitsch herabgesunkene Denkfigur von Walter Benjamin gehen könnte, fühlt er sich zugleich hingerissen vom Sound der durchdringenden Kleinmädchenstimme der Darstellerin.

Klassiker weitergedacht

Damit schließt sich in Gockels Inszenierung der Kreis zum Absturz des Vaters Peikert am Beginn. So viel rundende Dramaturgie wäre bei einem klassischen Castorf- oder Schlingensief-Abend eigentlich verboten. Aber es schadet nie, die Klassiker weiterzudenken. Wie hier Alexander Kluges sehr spezielle Mischung aus Theorie und Sinnlichkeit in den guten neuen postdramatischen Theaterbudenzauber übersetzt wird, ist so hinreißend wie die zwanglose Einbeziehung der Darstellerinnen und Darsteller mit sogenannter Beeinträchtigung. Und das ist etwas, was über Aufführungen der Kammerspiele zuletzt eher selten gesagt werden konnte.

"Wer immer hofft, stirbt singend": Wieder am 10. und 29. April um 20 Uhr in den Kammerspielen, Karten online und unter Telefon 233 966 00

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