„Weg von hier“ mit Erwin Pelzig

Furios: Das achte Kabarett-Solo von Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig im Lustspielhaus
von  Michael Stadler
So ist er, der Pelzig: Mit Hütchen, kariertem Hemd und Herrenhandtasche.
So ist er, der Pelzig: Mit Hütchen, kariertem Hemd und Herrenhandtasche. © pelzig.de

Es ist schon schön, wenn einiges beim Alten bleibt. Einen wie Erwin Pelzig möchte man gar nicht anders erleben, gar nicht anders sehen als wie er da bei der Münchner Premiere seines neuen Programms auf der Bühne des Lustspielhauses steht. Unter dem Cordhütle funkt weiterhin ein kluger Kopf seine blitzgescheiten Gedanken in Richtung Publikum. Hinter dem rot-weißen Karohemd klopft weiterhin ein wildes, wütendes Herz.

Und in der Herrenhandtasche wartet vielleicht noch immer die Lösung aller Probleme. Falls nicht, dann kann Pelzig sich an ihr jedenfalls festhalten, während die Welt da draußen gar keinen Halt mehr bietet, so dass Pelzigs Gedanken gar zu den Romantikern des 19. Jahrhunderts schweifen. Die sehnten sich in eine märchenhafte Vergangenheit hinein, vor einer Realität flüchtend, in der das eh schon Schlechte, wie unschön, sich weiter zum Schlechten wendet.

Symptome einer Krankheit

 „Weg von hier“ nennt sich das achte Kabarett-Solo von Frank-Markus Barwasser alias Pelzig, womit alle möglichen Fluchtbewegungen gemeint sind, vor allem der Drang, vor einer Welt abzuhauen, in der – demokratisch gewählte! - Despoten wie „Amerikas Abrissbirne“ Donald Trump oder Victor Orbán regieren. In den heutigen Autokraten erkennt Pelzig letztlich Symptome einer Krankheit, deren Wurzeln er im Lauf seines irrwitzig temporeichen Vortrags freilegen möchte. Klassische Ursachenforschung also, und als Schuldfaktor Nummer eins lässt sich der „weiße, heterosexuelle Mann“ ausmachen, der besonders stark und besonders einsam in Mecklenburg-Vorpommern vertreten ist, weil all die gut ausgebildeten jungen Frauen in Scharen Landflucht begangen haben.

In einem fulminanten Rundumschlag nimmt Pelzig sich die politischen Katastrophen der letzten Zeit vor, wobei er gar nicht groß Pointen schmieden muss: Allein im rasanten Erzählen dessen, was so geschehen ist und weiter geschieht, Brexit, Pegida-Aufmärsche, Trump, die weiterhin drohende Mautgebühr – kommt ein Aberwitz zum Vorschein, der, sprachlich präzise herausgearbeitet, befreiendes Gelächter erzeugt. Den Horror des postfaktischen Zeitalters federt der Franke zum „bostfaktischen“ ab, Tatsachen weicht er zu „Dadsachen“ auf. Aber es tut halt trotzdem alles weh.

Mit Kant gegen Facebook

Als „digitaler Immigrant mit analogem Migrationshintergrund“ mosert Pelzig über den sozialen Terror von Facebook und sendet ganz handfeste aufklärerische Signale an sein anwesendes Publikum. Sein an Kant angelehnter Appell an die Vernunft hat dank großen Faktenreichtums eine Kraft, der man sich schwer entziehen kann. Der Kabarettist entwickelt dabei einen schauspielerischen Ehrgeiz, der sich besonders in den furios gespielten Dreier-Szenen am Stammtisch niederschlägt. Da wechselt er virtuos zwischen dem Wasser trinkenden Pelzig, dem Wein süffelnden Protestanten Doktor Goebel und dem schlichten Biergenießer Hartmut, der sich noch am ehesten von der Last der Welt nicht runterziehen lässt, weil es ja eh nichts bringt und das Glück im Glas liegt. Am Ende lässt Barwasser seinen Goebel ob all der fiesen kleinen Entscheidungen, die man täglich treffen muss, verbal explodieren, womit das Programm dramaturgisch hübsch zu einem finalen Crescendo findet.

Man kommt ins Träumen

Aber wie soll man auch am Leben noch Spaß finden, wenn schon die Wahl des richtigen (Bio-)Lebensmittels eine Qual des Abwägens wird? Vielleicht hilft ja Träumen als bestmögliche Weltflucht, aber auch da schlägt die Skepsis zu. Walt Disney habe, erzählt Pelzig, für seine Arbeit drei Stühle parat gehabt: einen für den Träumer, einen für den Kritiker, einen für den Realisten.

Und während Pelzig diese Trias immer wieder ausprobiert, um zu zeigen, wie gefährlich manche, Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg etwa, sich mit ihren Ideen durchgesetzt haben, kommt der Rezensent ins Träumen: Wie schön es doch wäre, wenn ein Kabarettist das Denken verändern könnte. Nein, meint der Kritiker, alles zu kompliziert. So einen gibt es nicht. Doch, ruft der Realist: Schau, da vorne, der Pelzig.

Weitere Vorstellungen im Lustspielhaus am 24.10 und 25.10.2017, 20 Uhr, Karten 34 49 74

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