Was Matthias Lilienthal in seiner zweiten Spielzeit plant

Auch die zweite Saison von Matthias Lilienthal an den Kammerspielen steht im Zeichen der Migration und der Digitalisierung
von  Robert Braunmüller
Matthias Lilienthal und sein Team im Malersaal der Kammerspiele.
Matthias Lilienthal und sein Team im Malersaal der Kammerspiele. © Judith Buss

Auch die zweite Saison von Matthias Lilienthal an den Kammerspielen steht im Zeichen der Migration und der Digitalisierung

Vom Streichquartett über die Volkshochschule bis zu jedem besseren Literaturhaus gibt es heuer nur ein Thema: Flucht und Migration. Es dominiert naturgemäß auch den Spielplan der Münchner Kammerspiele in der kommenden Saison. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen.

Eröffnet wird die Spielzeit am 29. September mit einer Dramatisierung von Kamel Dauds Erzählung „Der Fall Meursault – Eine Gegendarstellung“. Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani inszeniert den Stoff, der Albert Camus’ „Der Fremde“ aus der Perspektive des getöteten, namenlosen Arabers erzählt.

Im November zwingt Julien Gosselin die Romane „Plattform“ und „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq zusammen. Bei der Vorstellung der Spielzeit im Malersaal betonte der französische Regisseur, dass er den Schriftsteller für einen verkappten Romantiker halte: eine Neuigkeit, die der Literaturkritik seit zwei Jahrzehnten bekannt ist.

Toshiki Okada nimmt sich einen No-Stoff vor, um sich mit der Katastrophe von Fukushima auseinanderzusetzen. Für die Verbindung beider Sphären sorgt die Gegenwart von Geistern in dieser klassischen japanischen Theaterform. Premiere ist im Februar.

Lebensgefühl 3.0.

Im Monat davor erfüllt sich Hausregisseur Nicolas Stemann einen Wunsch und inszeniert Tschechows „Kirschgarten“. Christoph Marthaler beschäftigt sich unter dem Titel „Tiefer Schweb“ mit der Flüchtlingsfrage. Der zweite Hausregisseur Christopher Rüping inszeniert Shakespeares „Hamlet“ in der Kammer 2 als Seitenstück zu Elfriede Jelineks „Wut“ und beschäftigt sich mit „Der erste fiese Typ“ von Miranda July, dem literarischen Sprachrohr der Digital Natives.

Das Internet samt dem Lebensgefühl 3.0 ist das zweite große Thema der Spielzeit. Die israelische Regisseurin Yael Ronen beschäftigt sich in „Point of no Return“ mit zwischenmenschlichen Begegnungen im Zeitalter der Dating-Plattformen. Rimini Protokoll lassen on „Top Secret International“ das Publikum in die Rolle von BND-Agenten schlüpfen. Auch das „Zentrum für politische Schönheit“ verantwortet eine Produktion.

Felix Rothenhäusler adaptiert das Skript „The Re’Search“ des Videokünstlers Ryan Trecartin, Alexander Giesche bringt Tom McCarthys aufsehenerregenden Romanerstling „8 ½ Millionen“ über einen Nomaden in der analogen Welt erstmals auf die Bühne, bevor er am Ende der Spielzeit das Internet selbst in Szene setzt und damit sein „Future-Shock-Projekt“ beendet.

Romane bleiben das neue Drama

David Martons Opernhaus in der Kammer 3 wird am Ende der laufenden Spielzeit nach „Le nozze di Figaro“ abgewickelt. Der Regisseur bleibt dem Haus aber erhalten und inszeniert einen Joyce-Abend. Susanne Kennedy kehrt nach München zurück und inszeniert „Die Selbstmordschwestern“, deren Dramatisierung der Autor Jeffrey Eugenides und die Filmregisseurin Sofia Coppola nach Jahren des kategorischen Neins nun nicht mehr widersprechen.

Ein Drittel der 19 Neuproduktionen hat Romane zur Vorlage. Uraufführungen gibt es nicht. Chefdramaturg Sebastian von Blomberg hält das Theater für entwickelt genug, um epische Stoffe zu bewältigen. Neue Stücke sind ihm zu wenig „welthaltig“. Doch er rudert gleich zurück: Die Jelinek sei natürlich großartig. Und er Freude sich auf die Uraufführung eines Texts von Katja Brunner in der übernächsten Spielzeit.

Die Auslastung der Kammerspiele liegt bei etwa 75 Prozent. Das ist weder aufregend noch besorgniserregend. Das Publikum verjüngt sich deutlich: Lilienthal konnte den Anteil von Studentenkarten von 13 auf 28 Prozent steigern. Und die Leute kommen lieber spontan.

Einführungen und Diskussionen werden gut angenommen. Das ältere Publikum murrt gelegentlich. Aber es bleibt dem Haus treu. Der Intendant erzählte von einem Abonnenten, der ihn und sein Ensemble zum Wiederaufbau nach Damaskus gewünscht habe. Die Kündigung des Abos nahm der Herr nach einem Anruf allerdings wieder zurück.

Das Spielzeitheft zum Download auf www.kammerspiele.de

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